Geschichte der Arbeiterschaft Vorarlbergs bis 1918

(erschienen 1960*)

Zum Geleit (Originaltext)

Vorarlberg ist ein Industrieland, aber nur wenige Historiker nahmen sich bisher der Geschichte seiner Arbeiterschaft an: so Manfred Scheuch, dessen 1961 erschienenes Werk von der Vorarlberger Arbeiterkammer hiemit neu aufgelegt wird, und Gerhard Wanner mit seinen historischen Schriften über die Kinderarbeit in Vorarlberg im 19. Jahrhundert und mit der Geschichte der Vorarlberger Arbeiterkammer, deren 1. Teil 1978 herausgegeben wurde und in absehbarer Zeit abgeschlossen sein wird. Es wartet also auf den Historiker noch eine sehr verdienstvolle Aufgabe: nämlich nach den Gründen zu suchen, die dafür maßgeblich waren, daß einem so großen Gebiet der Historie .so wenig Beachtung geschenkt wurde. Soviel sei jedenfalls vorausgeschickt: Der Kampf um gesellschaftliche Anerkennung ist nicht allein ein Bestandteil der Geschichte der Arbeiterschaft. Das Bewußtsein, Geschichte zu haben, ist auch Ergebnis dieses Kampfes und vermittelt Selbstbewußtsein. Selbstbewußtsein ist aber Voraussetzung für die Fähigkeit, seine l_nteressen wahrnel)men zu können. Die Bemühungen der Vorarlberger Arbeiterkammer um die Tilgung dieses historischen Defizits haben ihre Ursache nicht darin, Vergangenheit verklärend darzustellen und es in Selbstzufriedenheit beim Erreichten zu belassen. Geschichte ist auch ein Ansporn, die Mühen der Vorläufer nicht vergeblich werden zu lassen.

Von christlichen Gewerkschaftern wurde wegen einiger Formulierungen Kritik geäußert, weil das Wirken ihrer Vorläufer nicht in gebührendem Maße gewürdigt worden sei.

Der Autor, der mittlerweile auch als Chefredakteur der sozialistischen Arbeiter-Zeitung bekannt geworden ist, begründet seinen Standpunkt im Vorwort. Die Arbeiterkammer als Herausgeber fühlt sich dem Leser gegenüber verpflichtet, auf die Verschiedenheit der Standpunkte hinzuweisen, anerkennt aber selbstverständlich das Recht des Autors, seine Perspektive zu vertreten. Die Vorarlberger Arbeiterkammer sieht ihren Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte der Vorarlberger Arbeiterschaft mit der Wiederherausgabe der Arbeit Manfred Scheuchs keineswegs als abgeschlossen an.

 

Der Kammeramtsdirektor:
Dr. Ernst Haselwanter

Der Präsident:
LAbg. Bertram Jäger

 


Hinweis

* Die Texte wurden dem Original-Dokument entnommen und die Rechtschreibung nicht verändert.

der verfasser

Zum Geleit (Originaltext)

Ziel dieser Arbeit ist es, die Monographie eines Standes innerhalb eines begrenzten Raumes und in seiner Entwicklung von den Anfängen bis zur Erlangung der politischen Reife zu schreiben.

Auf die Arbeiterschaft - hier immer verstanden als Gesamtheit der Industriearbeiter -fiel die Wahl deshalb, weil diese Klasse sich in der modernen Gesellschaft einen entscheidenden Platz errungen hat und zu einem geschichtsbestimmenden Faktor geworden ist.

Die Rückschau auf ihren Werdegang erscheint daher bedeutsam und für das tiefere Verständnis gegenwärtiger Verhältnisse unentbehrlich. Vorarlberg wurde gewählt, weil hier der geschlossenste und zugleich einer der ältesten Industrieräume des heutigen Österreichs vorliegt; weil sich hier im sozialen und politischen Leben der Gegenwart gewisse - für die meisten Industrieländer untypische - Sondererscheinungen zeigen, von denen auf eine Sonderentwicklung geschlossen werden darf; und weil schließlich das Land Vorarlberg und seine Geschichte für den Verfasser als Väterheimat von besonderem Interesse ist.

Ein möglichst umfassendes Bild von der Gesamtheit der Existenz der Arbeiterschaft erwies sich als notwendig, weil nur auf diesem Weg die politische Wirksamkeit dieser Klasse in ihrer Ursache und ihrer Zielrichtung erfaßt werden kann. Zur Quellenlage ist zu bemerken, daß die für die einzelnen Zeitabschnitte wie auch für die verschiedenen der Betrachtung unterzogenen· Bereiche verfügbaren Quellen sowohl ihrer Quantität wie ihrer Verwertbarkeit· nach sehr unterschiedlich sind. Für die Periode des Vormärz standen die (durch den Brand des Justizpalastes stark in Mitleidenschaft gezogenen) Stimmungsberichte der Polizeidirektion Innsbruck zur Verfügung.

Dagegen dürfte ein Großteil der Quellen, die L. Mises für seine Untersuchung über die Kinderarbeit (vergleiche Literaturangabe) verwendete, diesem Brand oder der Skartierung zum Opfer gefallen sein. Im Tiroler Statthaltereiarchiv findet sich zu diesem Thema nur wenig Material.

Während für die Untersuchung der wirtschaftlichen Lage der Arbeiter in der späteren Zeit hauptsächlich gedruckte Quellen (Statistiken usw.) zur Verfügung stehen, muß bei der Betrachtung der politischen Entwicklung der Arbeiterorganisationen im wesentlichen mit der zeitgenössischen Presse das Auslangen gefunden werden; das Archiv der Vorarlberger Sozialdemokratie fiel kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges einem Brand zum Opfer. Lediglich was das Verbot der Arbeitervereine in den siebziger Jahren betrifft, fließen die Quellen im lnnsbrucker Statthaltereiarchiv reichlicher. Schwierig gestaltete sich die Eruierung des Zahlenmaterials über die Löhne, vor fast unlösbaren Problemen steht der Suchende bei einer Einschätzung der tatsächlichen Produktionsergebnisse der Vorarlberger Industrie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und in den Jahren vor Ausbruch des Weltkriegs.

Auf die Wiedergabe der umfangreichen Quellen- und Literaturangaben mußte in der gedruckten Ausgabe verzichtet werden. Interessenten seien auf die in der National-·und der Wiener Universitätsbibliothek, in der Bibliothek der Wiener Arbeiterkammer und der Arbeiterkammer in Feldkirch aufliegenden Originale verwiesen.

Der Verfasser möchte es nicht verabsäumen, allen jenen seinen Dank auszusprechen, die zum Gelingen seiner Arbeit beitrugen. So vor allem Herrn Univ.-Prof. Dr. Alphons Lhotsky, der seine Zustimmung zur Durchführung dieser Dissertation gab und sie zusammen mit Herrn Prof. Dr. Hugo Hantsch approbierte. Ferner den Beamten des Tiroler Landesregierungsarchivs, des Vorarlberger Landesarchivs, des Allgemeinen Verwaltungsarchivs, des Österreichischen Staatsarchivs, der Vorarlberger Sicherheitsdirektion, der Universitätsbibliotheken in Wien und Innsbruck und der Nationalbibliothek sowie den Firmen F. M. Hämmerte und Herrburger & Rhomberg in Dornbirn und den Nachlaßverwaltern, Landesrat Schoder und Gattin, nach dem 1958 verstorbenen Altpräsidenten der Vorarlberger Arbeiterkammer Anton Linder in Feldkirch.

Der besondere Dank des Verfassers gilt der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Vorarlberg, die die Drucklegung des Werkes ermöglicht hat, wodurch dieses einem breiteren Kreis Interessierter zugänglich wird. Möge es vor allem in der Hand der Vorarlberger Arbeiterschaft ein Mittel werden, durch bessere Kenntnis der eigenen Vergangenheit die Probleme der Gegenwart zu meistern und die zukünftige Entwicklung zu gestalten!

 

Wien, im Dezember 1960 Dr. Manfred Scheuch