Zum Geleit

Der erste Teil der Geschichte der Vorarlberger Arbeiterkammer, der mit dem Jahre 1938 abschließt, erschien 40 Jahre nach ihrer Auflösung. Der nunmehr vorliegende zweite Teil erscheint 40 Jahre nach ihrer Wiedererrichtung.

Ein Rückblick auf die beiden Zeitabschnitte regt zu einem Vergleich an:
Beherrschte in der Ersten Republik ein „Lagerdenken" das politische Leben, das nicht zuletzt im Bestehen von Richtungsgewerkschaften seinen Ausdruck fand, traten – vor allem in der Aufbauphase – nach 1945 die weltanschaulichen Gegensätze in den Hintergrund. Der Verlust der Eigenstaatlichkeit Österreichs, die gnadenlose Diktatur des NS-Regimes und der Zweite Weltkrieg waren bittere Erfahrungen, die beim Neubeginn Pate standen. Das Wirken der Männer der Ersten Stunde war von der Not der Nachkriegszeit und dem Wunsch bestimmt, daß sich solche Ereignisse nie mehr wiederholen sollten. Trotz aller Auseinandersetzungen hatte sich aber die Arbeiterkammer schon in der Ersten Republik als ein erfolgreiches Instrument zur Vertretung der Arbeitnehmerinteressen erwiesen.

Als daher am 8. Dezember 1945 eine Konferenz von 500 Betriebsräten aus dem ganzen Lande den ersten Anstoß zur Wiedererrichtung der Vorarlberger Arbeiterkammer gab, war bereits eine Erfahrungsgrundlage vorhanden, auf der sich die künftige Tätigkeit entfalten sollte.

Die Bedeutung, die heute der Vorarlberger Arbeiterkammer zukommt, dankt sie allen jenen, die vom bescheidenen Beginn an für sie wirkten. So gibt der vorliegende Band nicht nur ein Stück Zeitgeschichte wieder, seine Herausgabe
soll auch einen Teil der Dankesschuld abstatten. Der besondere Dank gilt nicht zuletzt dem Verfasser für seine umfassende Arbeit und leicht faßliche Darstellung.
 
Der Kammeramtsdirektor:
Dr. Ernst Haselwanter
 
Der Präsident:
LAbg. Bertram Jäger

Vorwort

In der vorliegenden Analyse wurde bewußt der Versuch unternommen, die Geschichte einer Institution darzustellen, also in erster Linie Strukturen aufzuzeigen, Prozesse zu verfolgen und auf Typisches hinzuweisen. Daraus ergibt sich die Eigenheit, daß einzelne Personen nicht im Mittelpunkt des Geschehens stehen, obwohl ihnen als politisch Handelnde natürlich große Bedeutung zukommt.·Viele einzelne Ereignisse, die aus subjektiver Sicht große Bedeutung gehabt haben mögen, konnten nicht behandelt werden, um das „Typische" der Kammergeschichte nicht zu verwischen. Das Quellenmaterial zur Kammergeschichte war im Gegensatz zu jenem der Ersten Republik sehr reichhaltig, wobei die Rechenschaftsberichte, Sitzungsprotokolle und Mitteilungsblätter ein oft zwar dürres, aber objektives und mit ihren Statistiken ein quantifizierbares Gerüst darstellten. Da sich zahlreiche Entscheidungen auf informeller Ebene abspielten, war es trotz Quellenvielfalt oft nicht möglich, die Hintergründe für Entscheidungen zu erkennen. 

Bezüglich des Inhalts liegt der Schwerpunkt der Darstellung auf wirtschaftlichen Abläufen auf lokaler und regional-österreichischer Ebene, da diese in erster Linie die Kammer zu wirtschafts- und sozialpolitischen Reaktionen veranlaßten. Ein weiteres Hauptkapitel befaßt sich mit den einzelnen Kammerwahlen seit 1949._ Ihre Analyse offenbart den parteipolitischen Aspekt der Kammer mit deren Verschränkung und Dialektik von Kammerinstitutionen, Gewerkschaften, Parteien und politisch willentlich entscheidenden Kammermitgliedern. Gerade in diesem Bereich zeigt sich die Eigenart der Vorarlberger Kammer innerhalb Österreichs, und überhaupt, die Eigenart „des Vorarlbergers". Meist liefen in Vorarlbergs Kammer „die Uhren anders", sei es, daß es zu völlig atypischen politischen Äußerungen kam, oder daß auf Kammerebene Entscheidungen gefällt wurden, die man für die österreichische Bundespolitik als zukunftsweisend ansah: Nirgendwo zeigte sich so deutlich die Verschiebung der Kammermacht von der Arbeiterschaft zur Angestelltenschaft, von der SPÖ zur ÖVP und das Abbröckeln von den Gewerkschaften. In Vorarlberg kam 1974 auch erstmals in Österreich ein Präsident aus dem Lager der ÖVP an die Kammerspitze, und das trotz Stimmenverlust seiner Fraktion, jedoch durch ein Koalitionsbündnis mit der FPÖ; ein praktiziertes „Vorspiel" zur späteren Bundesereignissen.

Vorarlbergs Kammer machte auch den erstmaligen emanzipatorischen Versuch, eine Frau an ihren Entscheidungen teilnehmen zu lassen, indem man eine Vizepräsidentin bestellte. Andererseits stellt die Frau innerhalb der Kammer nur eine schweigende und passive „Masse" dar, der aber gerade deshalb ein größeres Kapitel des Buches gewidmet ist.

Daß die Kammer nicht nur verwaltet wurde, Spielball anonymer Strukturen und Kräfte war, sondern auch Instrument aktiv handelnder Persönlichkeiten, die bewußt Geschichte machten, beweisen beispielhaft die frühen Bemühungen in Richtung direkter Demokratie, zweifellos nach dem Vorbild der benachbarten Schweiz, aber auch aus dem Bedürfnis sozialistischer Kammereliten heraus, gegenüber der ÖVP-dominierten Landesregierung Macht zu demonstrieren.

Diese Kammerinitiativen führten erstmals in Österreich 1947 zu Jungbürgerfeiern; 1957 erfolgte die erste Volksabstimmung gegen das Betriebsaktionenverbotsgesetz, und 1962 fand ein erfolgreiches Volksbegehren bezüglich der Teilnahme der Kammer in den Grundverkehrskommissionen statt. Im Rahmen der Vorarlberger Zeitgeschichte ist somit die Tätigkeit der. Kammer ein wichtiger geschichtsbildender Faktor, dessen Bedeutung umso größer war, als sie auf Grund spezieller historischer Faktoren gegenüber Land, Gewerkschaften und Parteien ein relativ großes Maß an Eigenständigkeit besaß. Andererseits bewies die Kammer überwiegend innere Geschlossenheit über die vorhandenen ideologischen Barrieren hinweg. Nicht zufällig wurde 1981 auf dem in Feldkirch abgehaltenen Österreichischen Kammertag die gut funktionierende, wenn auch oft kontroversielle Zusammenarbeit als „Feldkircher Klima" bezeichnet. Mein besonderer Dank gilt Herrn Präsidenten Bertram Jäger für den ehrenvollen Auftrag zu dieser Untersuchung, Herrn Dir. Dr. Ernst Haselwanter für die zahlreichen Anregungen und inhaltlichen Hilfestellungen und nicht zuletzt Herrn Werner Ahamer, der mir kritisch bei Textkorrekturen und bei der Auswahl des Bildmaterials zur Seite stand.

Univ.-Doz. Mag. Dr. Gerhard Wanner

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