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Das Zehn-Punkte-Programm gegen den Fachkräftemangel
Fast jeder zweite Betrieb kann derzeit Positionen in der Produktion nicht mit geeigneten Mitarbeitern besetzen – das Maßnahmenpaket der Kammern soll Vorarlberg bis 2025 zum „Hotspot der Lehre“ machen.
Manche Probleme dulden keinen Aufschub. Warten, bis der Bund reagiert? Fehlanzeige. Nicht beim Fachkräftemangel. Nicht, wenn es um die Zukunft der Jugend geht. Da sind sich die Präsidenten von Wirtschafts- und Arbeiterkammer einig: „Wenn es die Situation erfordert, müssen wir in Vorarlberg neue Wege auch alleine gehen können.“ Hans-Peter Metzler und Hubert Hämmerle treiben ihren Kampf gegen den Facharbeitermangel gemeinsam voran. Im Detail ausgetüftelt legen beide Kammern nun ein zehn Punkte umfassendes Maßnahmenpaket vor, das auch vom Land mitgetragen wird. Die zehn Punkte werden helfen, Defizite der Lehranfänger zu kompensieren, und neue Qualitätsstandards setzen. Das macht die Lehre attraktiver. Die Ziele sind ehrgeizig: Bis 2025 soll das westlichste Bundesland Österreichs der „Hotspot“ in Sachen Lehrausbildung werden.
Mangelware Fachkräfte
Die Intiative tut not: Laut EY-Mittelstandsbarometer (Ernst & Young Global Limited) haben rund drei Viertel der Unternehmen Probleme, geeignete Fachkräfte zu finden. Fast jeder zweite Betrieb kann Positionen in der Produktion nicht mit geeigneten Mitarbeitern besetzen. Dem Handwerk und Gewerbe sowie der Industrie fehlen in Vorarlberg weit über 1000 Fachkräfte. Mehr als jedes zweite Unternehmen beklagt Umsatzeinbußen wegen des Mangels an Fachkräften.
Was also kann getan werden, um die duale Ausbildung wieder attraktiv zu machen? Die Branchen, in denen heute Spitzenkräfte ausgebildet werden, weisen den Weg, indem sie die Fachkräfte beständig sowohl innerbetrieblich als auch akademisch weiterbilden. Diesen Weg muss man konsequent fortsetzen.
Ländle „Hotspot der Lehre“
Der Facharbeitermangel ist augenscheinlich ein Hemmschuh fürs Wachstum. Deshalb braucht die duale Ausbildung eine Frischzellenkur. Das System muss hoch attraktiv, flexibel, offen und nach oben durchlässig sein. Das erklärte gemeinsame Ziel von WK-Präsident Hans-Peter Metzler, AK-Präsident Hubert Hämmerle und Landesstatthalter Karlheinz Rüdisser: „Vorarlberg soll bis 2025 der ‚Hotspot der Lehre‘ sein. Der Ort, zu dem alle pilgern, um zu erfahren, wie es möglich ist, dass sechs von zehn Jugendlichen eines Jahrgangs eine Fachausbildung machen.“
AK-Präsident Hämmerle ist überzeugt, dass dem Fachkräftemangel in Vorarlberg nur durch Lösungen zu begegnen ist, die regional auch schnell umgesetzt werden können. Den Weg dorthin ebnen soll ein zehn Punkte umfassendes Maßnahmenpaket, das in den letzten Monaten geschnürt wurde.
„Die berufliche Ausbildung wie Lehre oder auch duales Studium wird weit unter ihrem Wert geschlagen, daher müssen wir intensiv daran arbeiten, das vorhandene Bild bei den Eltern und Jugendlichen endlich zu korrigieren“, betont WK-Präsident Hans-Peter Metzler, denn: „Jede und jeder, der qualifiziert ist, ist gut für die Gesellschaft und auch für die Wirtschaft.“
Tipp/Hinweis/Achtung
Drei Säulen, zehn Punkte
Erarbeitet wurde von den beiden Sozialpartnern ein Maßnahmenpaket, das auf drei Säulen ruht:
Säule 1: Defizite der Lehranfänger kompensieren
- mehr Zusatzangebote für Lehrlinge
- polytechnische Schulen als Zubringerschulen stärken
- Pilotprojekt für zweijährige Lehre
Säule 2: Qualitätsstandards in der Lehrausbildung setzen
- Steigerung der Ausbildungsqualität
- Qualitätsmanagement der Lehrausbildung stärken
- Kompetenzchecks für Lehrlinge als Qualitätssicherungsinstrument
Säule 3: Lehre als Bildungsweg attraktiv machen
- Umfassende Berufsorientierung an allen Schulen
- Ausbau des Angebots von „Lehre und BMS“
- Ausbau des Angebots von „Lehre und Matura“
Tipp/Hinweis/Achtung
Tipp/Hinweis/Achtung
Zehnter und abschließender Punkt ist schließlich eine digitale Kommunikationsplattform für die Lehre. Diese Plattform als Zugang zu allen Informationen rund um das Thema Lehre wurde von Wirtschafts- und Arbeiterkammer sowie dem Land Vorarlberg initiiert und befindet sich bereits im Betrieb. „Das Ziel ist es, die Lehrausbildung als hochwertige und chancenreiche Ausbildung zu positionieren und zielgruppengerecht zu bewerben“, erklärt Landesstatthalter Rüdisser.
Beste Karrierechancen
Eltern wollen das Beste für ihre Kinder. Das ist nicht automatisch eine akademische Ausbildung. Die Matura ist für viele Österreicher das Maß aller Dinge. Immer noch sehen es Eltern am liebsten, wenn ihr Kind ein Gymnasium besucht und danach studiert. Das hat viel mit dem Image der Lehre zu tun und wenig mit den realen Einkommens- und Karrieremöglichkeiten des Lehrberufs: Während im Jänner 2017 die Arbeitslosigkeit bei Pflichtschulabsolventen leicht gesunken ist, stieg sie bei Akademikern um 11,9 Prozent. Im Gegensatz dazu suchen Unternehmen händeringend Jugendliche, die für eine Lehrstelle geeignet sind.
Geht man nach dem Lebensverdienst, ist das Studium auch finanziell lange nicht mehr so attraktiv wie einst. Nach neueren Berechnungen verdient ein Facharbeiter fast 200.000 Euro, bis ein TU-Absolvent in den Job einsteigt. Und der Lebensverdienst beträgt bei beiden rund 1,3 Millionen Euro.
Tipp/Hinweis/Achtung
Berufsorientierung in allen Schulen
Auch Gymnasiasten brauchen Berufsinformation. Um das Image der Lehrausbildung zu verbessern, bedarf es eines Bündels an Maßnahmen. Dazu zählt unter anderem die verpflichtende Einführung einer Berufsorientierung auch an den AHS. Rund 80 Prozent der „Studienzweifler“, die in einer dualen Berufsausbildung bisher keine Option sehen, geben an, dass ihnen die Entscheidung für eine duale Ausbildung leichter fallen würde, wenn sie den Betrieb bzw. das Unternehmen bereits im Vorfeld innerhalb eines bezahlten Praktikums kennenlernen könnten.