AK-Direktor Rainer Keckeis und AK-Präsident Bernhard Heinzle
© Dietmar Mathis
17.11.2022

Pflege steuert auf absoluten Notstand zu

AK-Präsident Heinzle schlägt Alarm: GÖG-Studie basiert auf falschen Annahmen

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Als „Schönwetterstudie mit falschen Annahmen“ bezeichnet AK-Präsident Bernhard Heinzle jene Vorarlberg-Studie der Gesundheit Österreich Gmbh (GÖG), nach welcher der Pflegekräftebedarf für die Jahre bis 2030 definiert werden soll. Der tatsächliche Ausbildungsbedarf sei in Wirklichkeit weit höher. „Mit den aktuellen Ausbildungsständen erreichen wir nicht einmal die geschönten Zahlen der Studie“, kritisiert Heinzle, der gleich auch drei zentrale Forderungen nennt: Bessere Rahmenbedingungen für die Mitarbeiter:innen in der Pflege, viel mehr Ausbildungsplätze sowie die Umsetzung des AK-Modells für pflegende Angehörige. Damit könnte viel Druck aus dem System genommen werden.

Die aktuellen Berichte zur Pflege in Vorarlberg lesen sich wie ein Gruselroman: 200 Betten in der Langzeitpflege wegen fehlender Mitarbeiter:innen nicht belegt, 100 Betten sind es in den Spitälern. Allein am LKH Rankweil stehen 50 Betten leer, Psychiatriepatienten müssen deswegen vorzeitig entlassen werden. Daraus ergibt sich ein Teufelskreis: „Immer mehr Pflegekräfte sind ausgebrannt und am Ende ihrer Kräfte. Das hat krankheitsbedingte Ausfälle zur Folge und veranlasst viele Pflegekräfte, die Branche überhaupt zu verlassen. Das erhöht den Druck auf die verbleibenden Kolleginnen und Kollegen noch mehr“, macht sich AK-Präsident Heinzle Sorgen um die in der Pflege arbeitenden Menschen

Bessere Rahmenbedingungen dringend notwendig

Die aktuelle Situation in der Pflege führt dazu, dass die Kolleginnen und Kollegen unter totaler Überforderung leiden“, sagt AK-Präsident Heinzle. Die Dienstplansicherheit sei nicht gegeben, Dienstpläne würden laufend geändert, damit die Pflegeerfordernisse irgendwie abgedeckt werden können. Geteilte Dienste und permanentes Einspringen für fehlende oder erkrankte Kolleg:innen sorgen für eine viel zu hohe Arbeitsbelastung. Der von der Landesregierung beschlossene erhöhte Pflegeschlüssel, der an und für sich ja positiv wäre, wirkt in diesem Zusammenhang wie blanker Hohn, da es die dafür notwendigen Pflegekräfte einfach nicht gibt.

Deshalb ist es für Heinzle unabdingbar, dass die Diplom-Ausbildung an den Krankenpflegeschulen noch mindestens zehn Jahre weitergeführt wird. „Denn erstens ist der Bedarf im gehobenen Dienst wesentlich höher als in der GÖG-Studie angenommen und zweitens würden wir mit der Reduktion auf die FH-Studiengänge alle Interessierten ohne Matura aber auch Quereinsteiger, die zum Beispiel eine Lehre absolviert haben, verlieren“, ist sich der AK-Präsident sicher.

Schönwetter-Studie

Die Österreich-Studie der GÖG 2021 ortet bis 2030 einen Bedarf von 75.700 Pflegekräften, das wären für Vorarlberg rund 3.400. Seltsamerweise sinkt dieser in der GÖG-Studie für Vorarlberg für denselben Zeitraum auf nur 2.415. Und das, obwohl Vorarlberg die höchste demografische Alterung aller Bundesländer aufweist (z.B. +47 Prozent bei den Über-85-jährigen bis 2030). „Das kann so nicht der Realität entsprechen“, ist der AK-Direktor überzeugt. Kein Wunder, wenn man weiß, dass in der Studie angenommen wird, dass es keine Berufsabbrecher gibt und alle bis zur gesetzlichen Alterspension arbeiten. Die Realität sieht aber anders aus. „Wir haben bei den FH-Studiengängen momentan zu wenig Teilnehmer:innen (60 statt 100) und eine Drop-Out-Quote von 25 Prozent“, weiß AK-Direktor Rainer Keckeis. Außerdem: Wegen der außerordentlich hohen physischen und psychischen Belastung arbeiten die wenigsten Kolleg:innen bis zur gesetzlichen Alterspension. Das trifft vor allem den so genannten gehobenen Dienst, also diplomierte Pflegekräfte. „Daraus resultiert ein Ausbildungsrückstand, der mit der vom Land anvisierten Ausbildungsstrategie nie und nimmer aufgeholt werden kann“, so Keckeis. Man registriere bereits jetzt Notrufe aus den Spitälern, immer wieder würden sich auch Patienten beklagen. Allein die Zeitspanne von 2020 bis 2023 ergebe einen Ausbildungsrückstand von mindestens 200 dringend notwendigen Pflegekräften.

Illusorischer „Skill-Grade-Mix“

Bis 2030 benötigt Vorarlberg laut GÖG-Studie 2021 im gehobenen Dienst (FH-Studiengang bzw. DGKP) zusätzlich 1321 Pflegekräfte. Dazu kommen noch 280 Pflegefachassistent:innen. Weil sich das nie und nimmer ausgeht, versucht man mit dem „Skill-Grade-Mix“ zu tricksen. Der Skill-Grade-Mix bezeichnet die Zusammensetzung von Pflegeteams aus Personen mit verschiedenen Fähigkeiten (Skills) und Bildungsabschlüssen (Grades). Das dient dazu, dass Tätigkeiten, die vorher allein vom gehobenen Dienst ausgeführt wurden, nach unten delegiert werden können. Damit würde sich die Zahl der notwendigen Kräfte beim gehobenen Dienst von 1321 auf 880 reduzieren, jene der Pflegefachassistent:innen von 280 auf 1.068 erhöhen. „Das wird so aber nicht funktionieren“, sagt Keckeis, denn: „Die Aufgaben können allein schon aus gesetzlichen Gründen gar nicht im angenommenen Maß verändert werden.“
Dass in diese Richtung gearbeitet wird, zeigt auch die Zahl der geplanten Ausbildungsplätze ab 2024. Ab dann soll es für den gehobenen Dienst statt 200 nur noch 100 Plätze geben, für die Pflegefachassistenz hingegen 120. Aktuell werden in der Pflegefachassistenz allerdings nur 20 Personen ausgebildet.

Zahlenspielereien

Zur vollständigen Verwirrung trägt die GÖG-Studie 2022 bei. Dort sinkt der Bedarf an Pflegefachassistenz-Kräften von 280 (2021) plötzlich auf nur mehr 12 Personen, während sich der Bedarf an Hilfskräften (Pflegeassistenz) seltsamerweise auf 638 Personen erhöht (2021 waren es nur 370).

Pflege zuhause stärken

Ein weiterer Baustein, der Druck aus dem Pflegesystem nehmen könnte, ist das AK-Modell zur Anstellung pflegender Angehöriger. „Dieses Modell wurde nun lange genug diskutiert und muss endlich umgesetzt werden“, fordert der AK-Präsident die Landesregierung auf, endlich ins Tun zu kommen. Außerdem ist es laut Heinzle auch erforderlich, die Mobilien Dienste zu stärken und für pflegende Angehörige weitere Entlastungs- und Unterstützungsangebote (z.B. verlässliche und flexible Ersatz- oder Kurzzeitpflege) zu schaffen.

Forderungen für ein funktionierendes Pflegesystem

  • bessere Rahmenbedingungen für die bereits in der Pflege arbeitenden Kolleg:innen (Dienstplansicherheit, keine geteilten Dienste, Einhaltung des höheren Pflegeschlüssels, Skill-Grade-Mix der den gesetzlichen Vorschriften entspricht und Pflegekräfte nicht überfordert, familienfreundliche Arbeitsbedingungen, Kinderbetreuungsangebote usw.).
  • Mehr Ausbildungsplätze speziell für die gehobenen Dienste (Diplom-Ausbildung an den Krankenpflegeschulen mindestens noch zehn Jahre weiterführen)
  • Umsetzung des AK-Modells zur Anstellung pflegender Angehöriger

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