Immo-Branche als Trittbrettfahrer der Inflation
Vor allem Mieter:innen im privaten Segment sind schutzlos ausgeliefert
Fast 3.000 Vorarlberger:innen haben im Mai 2024 an der Online-Umfrage der AK Vorarlberg zum Thema Wohnen teilgenommen und ihre persönliche Situation geschildert. Es war nach dem letzten Jahr, 2023, und dem Jahr 2018 die dritte große Umfrage der AK Vorarlberg zur Wohnsituation in Vorarlberg.
Das Ergebnis: Ein Drittel des Haushaltseinkommens [1] geht fürs Wohnen drauf (2018 waren es noch 28 Prozent). Ganze 83 Prozent fühlen sich von ihren Wohnkosten belastet oder gar stark belastet. 36 Prozent würden gern in eine gemeinnützige Wohnung umziehen, aber nur wenige erfüllen die Anforderungen. Die Ergebnisse sind zunehmend besorgniserregend und zeigen, wie dringend gemeinnützige Wohnungen in Vorarlberg fehlen.
„Vier von fünf Umfrageteilnehmer:innen ächzen unter den hohen Wohnkosten“, stellt AK Präsident Bernhard Heinzle fest. „Das kann so nicht bleiben."
Preise für Eigentum und Miete explodieren und die Einkommen können nicht Schritt halten, wie in der folgenden Abbildung zu erkennen ist.
Die langfristige Entwicklung bis 2021 zeigt, dass die Schere zwischen Einkommen und Wohnkosten immer weiter aufgeht, Preise für Eigentum haben sich seit 2015 sogar nahezu verdoppelt. Dazu kommt, dass die Inflation in Österreich nach wie vor hoch ist (3,5 Prozent im April [2]), die Kreditzinsen enorm gestiegen sind und die Kreditrückzahlungen in die Höhe treiben. Gründe genug für die Arbeiterkammer Vorarlberg, um auch bei der dritten Welle der AK-Wohnumfrage einen Fokus auf die Wohnkostenbelastung der Vorarlberger:innen zu legen.
48 Prozent der Umfrageteilnehmer:innen wohnen in privater Miete, 11 Prozent in Miete im gemeinnützigen Wohnbau. Nur 39 Prozent wohnen im Eigentum. „Vom Land der ,Hüslebauer‘ kann da kaum mehr die Rede sein”, unterstreicht der AK Präsident.
Das wird sich wohl so schnell auch nicht ändern: Nach Berechnungen der AK Vorarlberg auf Grundlage von Daten der Statistik Austria können sich nur 10 bis 15 Prozent der bestverdienenden Haushalte in Vorarlberg überhaupt noch Wohneigentum leisten – und auch nur, wenn sie ab Arbeitsantritt eisern sparen und sich bis zur Pension verschulden. Reichte 2010 noch ein Kredit in Höhe des sechsfachen Jahreseinkommens für ein Eigenheim, so müssen Käufer:innen heute bereits einen Kredit in Höhe des zehn- bis zwölffachen Jahreseinkommens aufnehmen – also gut doppelt so viel, ist den Analysen der Nationalbank zu entnehmen. Anders ausgedrückt: Im Jahr 2015 käme man mit dem Medianeinkommen auf eine Kreditlaufzeit von 37 Jahren für eine 90 Quadratmeter Wohnung, im Jahr 2022 [3] wären das 55 Jahre, also unmöglich.
In der Realität geben in der Umfrage über 36 Prozent an, gerne in eine gemeinnützige Wohnung zu ziehen, über 3 Prozent stehen bereits auf der Liste. Das zeigt, dass Interesse an dieser Wohnform weit in die Mittelschicht reicht.
Die Literatur klassifiziert Haushalte, die mehr als 40 Prozent des Haushaltseinkommens für Wohnkosten aufwenden, als belastet. Laut aktueller AK Umfrage – konservativ gerechnet - geben bereits 38 Prozent (2023: 37 Prozent) mehr als 40 Prozent des Einkommens für Wohnen aus und gelten als belastet [4].
Der Anteil der Betroffenen (=Haushalte mit Wohnkostenanteil über 40 des Haushaltseinkommens) ist bei den Mieter:innen am höchsten (44 Prozent), wie die obige Abbildung veranschaulicht. Bei den Eigentümer:innen sind es knapp 35 Prozent. Fast 52 Prozent der Eigentümer:innen haben gemischt oder ganz variabel verzinste Kredite. Durch die steigenden Zinsen ist der Anteil der Wohnkosten am Haushaltseinkommen stark steigen. Der Anteil der belasteten Haushalte ist gegenüber der Umfrage 2023 in fast allen Kategorien weiter leicht gestiegen.
Die folgende Abbildung zeigt eine Gegenüberstellung der Wohnkostenanteile je Einkommensklasse aus der Umfrage 2023 und 2024. Quer über alle Einkommensklassen hinweg sind die Wohnkostenanteile am verfügbaren Einkommen angestiegen. In den unteren Einkommensklassen ist dieser Anstieg besonders stark. Ein Haushalt der 2023 über € 1.400,- netto monatlich verfügt, hat nach Abzug der Wohnkosten noch € 714,- zur Verfügung, im Jahr 2024 nurmehr € 686,-. Für einen Haushalt mit € 1.600,- blieben im Jahr 2023 nach den Ausgaben für Wohnen noch € 880,- und im Jahr 2024 noch € 832,-. Bei einem Einkommen von € 2.250 blieben 2023 noch € 1.395,- und im Jahr 2024 € 1.305,-.
Ein bedeutender Punkt sind auch die Befristungen der Mietverträge. 80 Prozent der Befragten gaben an, dass ihr Mietvertrag befristet ist, in zwei Dritteln der Fälle auf nur drei Jahre. Solche kurzen Befristungen sind für viele ein finanzielles Problem. Einerseits, weil die Miete mit jeder Verlängerung über die Inflation angehoben werden kann. Andererseits, weil oft mit jeder Verlängerung eine Bearbeitungsgebühr fällig wird. Die beinhaltet immer häufiger Rechtsanwaltshonorare für die Errichtung des Mietvertrags und beträgt so oft eine ganze Monatsmiete oder gar mehr. Bemerkenswert ist das vor allem im Hinblick auf das gesetzlich verankerte Erstauftraggeberprinzip, auch „Bestellerprinzip“ genannt. Denn seit dessen Einführung darf die Maklerprovision in den allermeisten Fällen nicht mehr von der Mieterseite verlangt werden – und seitdem steigen offenbar die Kosten für die Vertragserrichtung, wie die Anfragen in der Konsumentenberatung der AK Vorarlberg zeigen. Allerdings trauen sich Mieter:innen oft nicht, zu protestieren, aus Angst, dass der:die Vermieter:in den Vertrag nicht verlängert. Schließlich ist es vielfach auch zulässig, die hohen Vertragserrichtungskosten auf die Mieterseite überzuwälzen, weil die Bestimmungen des Mietrechtsgesetzes für die meisten Mietwohnungen in Vorarlberg nicht voll zur Anwendung gelangen.
In ihren Kommentaren erklärten Umfrageteilnehmer:innen zudem, dass sich die Befristungen negativ auf ihre Lebensplanung auswirken. Geäußert wurde etwa Angst vor der nächsten unvorhergesehenen Mieterhöhung sowie Angst davor, umziehen zu müssen. Das würde auch bedeuten, die Kinder und die Familie aus dem Lebensumfeld reißen zu müssen und nicht zu wissen, in welcher Gegend man neu anfangen muss. Umzüge werden nicht nur als finanziell, sondern auch als körperlich und seelisch belastend empfunden.
Mehr als jede:r dritte Umfrageteilnehmer:in gab an, gern in eine gemeinnützige Wohnung ziehen zu wollen. Das zeigt, dass das Interesse an dieser Wohnform weit in die Mittelschicht reicht. Doch Vorarlberg bildet österreichweit seit Jahren das Schlusslicht beim Anteil der gemeinnützigen Bauvereinigungen am Wohnungsneubau. „In keinem anderen Bundesland wohnen weniger Haushalte in gemeinnützigen Wohnanlagen als in Vorarlberg“, erklärt AK Präsident Bernhard Heinzle. „Und eine Verbesserung ist wohl nicht in Sicht: Der Anteil der gemeinnützigen Mietwohnungen an den Hauptwohnsitzen in Vorarlberg ist von 12 Prozent im Jahr 2020 auf 10 Prozent in den Jahren 2022 und 2023 gesunken.“
„Wir brauchen in Vorarlberg endlich mehr leistbare Wohnungen“, fordert AK Präsident Heinzle. „Dafür braucht es endlich eine Inflationsbremse bei den Mieten, ein Ende der Befristungsmöglichkeiten für gewerbliche Vermieter:innen, eine Mietrechtsreform und eine Neugestaltung der Wohnbauförderung.“
Die monatlichen Ausgaben für Wohnen pro Quadratmeter sind unabhängig vom Einkommen ähnlich hoch. Für Mieter:innen mit niedrigem Einkommen scheint es nicht möglich, eine günstigere Wohnung zu finden. Sie sind dem Markt ausgeliefert.
Die folgende Abbildung zeigt die regionalen Unterschiede nach Einkommensklassen. Die durschschnittlichen Preise pro Quadratmeter sind in Bludenz am niedrigsten, in Dornbirn sind sie am höchsten. Seit der Umfrage 2023 sind die Kosten pro Quadratmeter laut Angaben der Teilnehmer:innen um fast 9 Prozent gestiegen. Durchschnittlich, über alle Bezirke, sind wir nunr bei € 15,3 pro Quadratmeter angelangt.
Auch die neuesten Daten der Statistik Austria zeigen den enormen Anstieg der Mietkosten mit und ohne Betriebskosten: 2023 liegt Vorarlberg bei den Mieten mit Betriebskosten pro Wohnung auf dem ersten Platz, pro Quadratmeter auf Platz drei. Selbes gilt für die Miete ohne Betriebskosten.
Selbes beim Eigentum: Für eine Eigentumswohnung in Österreich wurden im Jahr 2023 im Median 4.023 Euro pro Quadratmeter gezahlt, im Vorjahr waren es im Vergleich 4.426 Euro pro Quadratmeter (Wohnfläche). Am teuersten waren 2023 Wohnungen in Vorarlberg mit 5.000 Euro pro Quadratmeter, gefolgt von Salzburg mit 4.981 und Wien mit 4.966 Euro pro Quadratmeter. Für Wohnhäuser mussten 2023 im Median 2.678 Euro pro Quadratmeter bezahlt werden, wobei auch hier Vorarlberg mit 5.566 Euro pro Quadratmeter den ersten Platz belegt, gefolgt von Wien mit 5.508 und Salzburg mit 5.192 Euro.
Die Umfrage verdeutlicht erneut, was die offiziellen Zahlen der Statistik Austria nur zeitverzögert und ohne Kontext zeigen. Beim Wohnen ist es bereits viertel nach zwölf!
[1] Definition: Abgefragt wurde das verfügbare Haushaltseinkommen netto: „Wie hoch ist Ihr monatliches (gemeinsames) Haushaltseinkommen (netto)“; also vor allfälligen Abzügen wie Miete, Kreditraten usw. aber inkl. aller Sozialleistungen, Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld usw.
[2] VPI April 2024; Basis 2020 & Veränderung zum Vorjahr; Quelle: Statistik Austria
[3] Um den reinen Effekt der massiven Preissteigerungen im Immobiliensektor zu errechnen, wurden hierbei die gleichen Zinssätze angenommen; verwendet man die aktuellen, mehr als doppelt so hohen Zinsen wie 2015, liegen wir deutlich darüber.
[4] Zur Berechnung der 40% Grenze wurden die oberen Enden der Einkommensklassen verwendet: Da im Rahmen der Umfrage Einkommensklassen abgefragt wurden, wurden zur Berechnung die oberen Grenzen verwendet, was bedeutet, dass das tatsächliche Einkommen gleich hoch oder geringer ist. Es handelt sich somit um eine konservative Schätzung der 40% Grenze.
Um mehr als 450 gemeinnützige Wohnungen pro Jahr neu schaffen und sanieren zu können, stellt der Bund über ein Wohnbaukonjunkturpaket dem Land Vorarlberg 43 Millionen Euro innerhalb von drei Jahren zur Verfügung. Das Geld kann in Form von Zuschüssen den Wohnbauträgern zur Schaffung von leistbaren und qualitativ hochwertigen Wohnungen über die Wohnbauförderung ausbezahlt werden, ohne dass diese wie ein Darlehen zurückbezahlt werden müssen.
Bereits 2024 stehen für Vorarlberg 25 Prozent der Mittel bereit, sprich 10,8 Millionen Euro. 8,7 Millionen Euro allein für die Errichtung neuer Wohnungen.
aufgrund des nachweislich hohen Bedarfs an leistbaren Wohnungen, dass diese Zuschüsse nur für die Errichtung von gemeinnützigen Mietwohnungen sowie Mietkauf- und Eigentumswohnungen eingesetzt werden, die sich an die Baukostengrenzen für geförderten gemeinnützigen Wohnbau halten und niedriger sind als die Baukostengrenzen für den geförderten privaten Wohnbau. Nur so können die Gelder gezielt für leistbare Wohnungspreise eingesetzt werden.
Die Vorarlberger Wohnbauförderungsbeiträge, die über Löhne und Gehälter eingehoben werden, sowie die Rückflüsse aus den Wohnbauförderungsdarlehen sollten in Zukunft nur noch zweckentsprechend für die Wohnbauförderung verwendet werden dürfen, da die Bundesmittel nur befristet auf drei Jahre zusätzlich gewährt werden.
Grund und Boden ist mittlerweile ein Spekulationsobjekt. Im Grundverkehr braucht es gesetzliche Änderungen, damit das Ziel des leistbaren Wohnens erreicht wird. Es sollte die Bewilligungspflicht beim Erwerb von bebauten und unbebauten Baugrundstücken wieder eingeführt werden, um das Feld nicht nur Investoren und Spekulanten zu überlassen. Auch beim Erwerb von Freiflächen braucht es ein Vorkaufsrecht vor privaten Investoren zugunsten des gemeinnützigen Wohnbaus und eines leistbaren Wohnbaus.
Die Errichtung von privaten Investorenwohnungen zur Vermietung sollte dagegen nicht weiter mit Hilfe von Wohnbauförderungsmitteln unterstützt werden.
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