Gesundheitssystem Vorarlberg: Handlungsbedarf auf mehreren Ebenen
Die Qualität im Vorarlberger Gesundheitssystem hat in den letzten Jahren erkennbar nachgelassen. Gleichzeitig ist die Krankenkassenreform gescheitert.
AK Gesundheitsumfrage zeigt: Leistungen und Qualität nicht für alle gleich! Qualität hat aufgrund von Personalengpässen in den letzten Jahren abgenommen, es braucht mehr Personal (besonders Allgemeinmediziner:innen und Pflegepersonal), kürzere Wartezeiten und mehr Zeit für Behandlungen!
Mehr als 4.000 Vorarlberger:innen haben im März 2023 an der Online-Umfrage der AK Vorarlberg zum Thema Gesundheit teilgenommen und ihre persönliche Situation geschildert. Die Umfrage fand über einen Zeitraum von zwei Wochen statt. Es war die erste Umfrage dieser Art. Anlass waren u.a. die gesundheitlichen Folgen der Pandemie, die spürbare Arbeitsknappheit in Gesundheitsberufen, die Folgen der ÖGK-Reform usw. Die Rufe in der Bevölkerung nach Verbesserungen in der Gesundheitsversorgung werden spürbar lauter. Ziel der Umfrage war, einen Überblick über die Wahrnehmungen und Einschätzungen zum Gesundheitssystem und der medizinischen Versorgung der Vorarlberger Bevölkerung zu gewinnen. Die Ergebnisse sind im Folgenden kurz dargestellt.
„Die Qualität hat aufgrund von Personalengpässen in den letzten Jahren markant abgenommen. Es braucht mehr Personal und kürzere Wartezeiten.“
Bernhard Heinzle
AK Präsident
Insgesamt haben 4281 Personen an der Umfrage teilgenommen, davon haben 2767 Personen alle Fragen vollständig beantwortet. Die Teilnehmer:innen waren im Durschnitt 47 Jahre alt, zu 59,0 Prozent weiblich (40,6 Prozent männlich und 0,4 Prozent divers), und zu 33,5 Prozent wohnhaft im Bezirk Bregenz (29,18 Prozent Feldkirch, 24,9 Prozent Dornbirn und 12,4 Prozent Bludenz). Es leben durchschnittlich 2,5 Personen im Haushalt der Teilnehmer:innen. 35,1 Prozent gaben als höchsten Bildungsabschluss eine Lehre an (23,1 Prozent eine weiterführende Schule ohne Matura, 16,0 Prozent BHS/AHS Matura, 21 Prozent Universität und 4,9 Prozent Pflichtschule) knapp 14,1 Prozent sind nicht in Österreich geboren. Die Hälfte der Teilneher:innen verfügt über ein monatliches Haushaltseinkommen von unter 3.000,- Euro, durchschnittlich belaufen sich die jährlichen Aufwendungen im Rahmen der Gesundheitsversorgung auf 988,80 Euro.
Auf die Frage wie die Teilnehmer:innen ihren aktuellen Gesundheitszustand beurteilen, beschreiben diesen zwei Drittel als sehr gut oder gut. Immerhin ein Drittel beurteilt ihren gesundheitlichen Zustand als mittelmäßig, schlecht sehr schlecht, bei den über 50-Jährigen sind es etwas mehr als 38 Prozent. Zwischen Männer und Frauen gibt es kaum Unterschiede. Etwas mehr als die Hälfte gibt an, im letzten Jahr ein akutes medizinisches Problem gehabt zu haben, Frauen etwas mehr als Männer (58,7 vs. 52,7 Prozent) und bei über 50-Jährigen sind es etwa 60,1 Prozent. Auch im Jahrbuch der Gesundheitsstatistik (Statistik Austria, 2021) zeigt sich, dass die Krankenstandsfälle von Männern und Frauen in den letzten 10 Jahren deutlich zugenommen haben. Die (ambulanten) Gesundheitsangebote werden in Vorarlberg umfassend genutzt.
Über 91 Prozent der Teilnehmer:innen ging im letzten Jahr zum/zur Arzt/Ärztin, knapp drei Viertel zum/zur Zahnarzt/Zahnärztin und zum/zur Facharzt/Fachärztin. Bei 2 Prozent liegt die Inanspruchnahme über ein Jahr zurück. Dennoch stagnieren beispielsweise die Vorsorgeuntersuchungen seit mehreren Jahren bei ca. 11-12 Prozent der Jahresdurchschnittsbevölkerung. Etwa zwei Drittel der befragten Personen vereinbart immer einen Termin, Frauen etwas häufiger als Männer. Trotz der Terminvereinbarung warten über 40 Prozent der Teilnehmer:innen länger als 30 Minuten bis sie dran kommen.
Die Wartezeiten bis ein Termin verfügbar ist, sind bei Fachärztinnen am längsten, aber auch für Termine bei Allgemeinmediziner:innen wartet man besonders lange. Regional gibt es kaum Unterschiede. Generell geben knapp 21 Prozent an, nie oder nur manchmal überhaupt einen Termin zu bekommen. Laut Auskunft der ÖGK werden in Vorarlberg im Schnitt weniger Kassenpatienten pro Quartal behandelt als in den restlichen Bundesländern, dennoch gibt es in Vorarlberg eine höhere Versorgungsdichte.
Etwa 90 Prozent der Befragten geben an, in ihrer Gemeinde zumindest einen Arzt oder Ärztin verfügbar zu haben. Nur knapp 10 Prozent geben an, dass es in ihrer Gemeinde keine oder nur teilweise verfügbare (z.B. Zweitordination) Ärzte bzw. Ärztinnen gibt. Das Gesundheitsangebot bzw. die medizinische Versorgung wird von 47,7 Prozent als zu wenig empfunden, 35,9 Prozent empfinden es als grundsätzlich ok, aber regional sehr unterschiedlich (immerhin 4,7 Prozent empfinden, dass das Angebot zu häufig ohne Bedarf in Anspruch genommen wird).
Etwa 37,1 Prozent nutzen das Angebot von Wahlärztinnen regelmäßig (Wobei Teilnehmer:innen welche weniger als 2000,- Euro monatlich verfügbar haben nur etwa zu 30 Prozent regelmäßig zur Wahlärztin gehen und Teilnehmer:innen welche mehr als 3500,- Euro monatlich verfügbar haben, zu über 40 Prozent). Die Hauptgründe sind dabei, dass es einerseits zu wenig Kassaärztinnen gibt (68,5 Prozent Nennungen) und dass die Wartezeiten bei Kassaärztinnen zu lange sind (66,4 Prozent Nennungen). 76,2 Prozent der Teilnehmer:innen geben an weder privat noch privat zusatzversichert zu sein. Gleichzeitig geben 65,1 an, dass sich für privat oder privat zusatzversicherte mehr Zeit genommen wird. Die Terminverfügbarkeit und Wartezeit sind laut 79,1 Prozent der befragten Personen für privat oder privat zusatzversicherte Personen besser.
Die jährlichen Ausgaben im Rahmen der Gesundheitsversorgung belaufen sich im Durchschnitt auf 988,8 Euro und sind zwischen den Geschlechtern und über die Bezirke hinweg ähnlich. Privat bzw. privat zusatzversicherte geben jährlich im Schnitt etwa 1600,- Euro aus.
Die Qualität im Gesundheitssystem in Vorarlberg ist für knapp die Hälfte der Teilnehmer:innen allgemein ausreichend und für 29,3 Prozent sogar sehr gut. 17,8 Prozent empfinden die Qualität als verbesserungsfähig. Die Qualität wird besonders im Hinblick auf die langen Wartezeiten und Ärztinnenknappheit verbesserungsfähig eingeschätzt. Gleichzeitig für der Personalmangel nämlich zu einer unverhältnismäßig hohen Arbeitsbelastung des Gesundheitspersonales, wie auch die Studie „Zfrieda schaffa im Krankahus“ zeigt. Regional gibt es hier kaum Unterschiede. Während die Qualität überwiegend als ausreichend empfunden wird, geben über zwei Drittel der Befragten an, dass die Qualität in den letzten 1-5 Jahren nachgelassen hat. Dies hängt wahrscheinlich unmittelbar mit der Corona-Pandemie zusammen, zusätzlich hat sich die Personalknappheit während dieser Zeit verstärkt.
Immerhin knapp 40 Prozent sind mit der Gesundheitsversorgung insgesamt wenig oder nicht zufrieden. Besonders schlecht schneidet die Pflege ab, hier geben 33,9 Prozent an, dass sie mit den Pflegeeinrichtungen nicht zufrieden sind. Die Teilhehmer:innen würden sich vor allem wünschen, dass:
Nur 6,7 Prozent glauben, die Gesundheitsversorgung hält das Versprechen, dass alle Personen die gleiche Qualität und Leistung erhalten. Die übrigen über 90 Prozent geben an, dass die Versorgung für gewisse Personengruppen besser ist und es leichter ist, an Leistungen zu kommen.
Laut Teilnehmer:innen müsste die Versorgung für alle gleich sein, das Personal aufgestockt werden und das Angebot (besonders in der Allgemeinmedizin) ausgeweitet werden. Wenn die Teilnehmer:innen die Möglichkeit hätten im System sofort etwas zu ändern, würden sie mehrheitlich: die Zweiklassenmedizin abschaffen, Personal aufstocken, Erleichterungen für Patientinnen schaffen (kürzere Wartezeiten, etc.) Weiters halten es über 90 Prozent der Befragten für sinnvoll, dass entgegen der kürzlich erfolgen Reform hin zur ÖGK, wieder mehr Handlungsspielraum und Gestaltungsmöglichkeiten im Gesundheitssystem auf Vorarlbergebene geschaffen werden. Zudem sind über 90 Prozent der Befragten dafür bzw. eher dafür, dass Primärversorgungszentren ausgeweitet werden.
Auf der anderen Seite ist die Krankenkassareform gescheitert, aus der Patientinnenmilliarde ist ein horrendes Defizit geworden. 1,2 Milliarden Euro schwer werden die Abgänge der österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) bis 2027 sein. Finanziert wird dieses Rekorddefizit zum überwiegenden Teil von den Nettozahlern Salzburg (354 Millionen Euro), Tirol (400 Millionen) und Vorarlberg (65 Millionen). Würden die positiven Gebarungsergebnisse der westlichen drei Bundesländer in Höhe von 819 Millionen Euro nicht von der ÖGK-Zentrale abgesaugt, läge das österreichweite Defizit sogar bei 2 Milliarden Euro.
In Anbetracht der langen Wartezeiten, der knappen Verfügbarkeit des Gesundheitspersonales und der besonders dadurch empfundenen abnehmenden Qualität des Gesundheitsangebotes, der gescheiterten ÖGK-Reform und dem Wunsch der Bevölkerung keine Zweiklassenmedizin zu haben, fordert die Arbeiterkammer Vorarlberg eine Gesundheitsoffensive auf mehreren Ebenen:
Personalengpass wirksam bekämpfen!
Gesundheitspolitik auf regionaler Ebene: Mit dem Überschuss der ÖGK-Landesstelle Vorarlberg im Jahr 2023 könnten z.B.:
Ausbau der Primärversorgungszentren und Forcierung der Vorsorgeuntersuchungen sowie Präventionsmaßnahmen
Entwicklung Demografie-robuster Krankenhäuser und Fokus auf psychische Gesundheit des Gesundheitspersonales
Wahlärztinnen stärker in das Kassenarztsystem einbinden, um durch die dadurch gewonnenen Kapazitäten den vertragsärztlichen Bereich zu entlasten und zusätzliche Kapazitäten in der Sachleistungsversorgung zu gewinnen.
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