Augenzwinkernd formulierte Roland Gnaiger in der AK einen Appell: Hecke statt Gartenzaun! Schotter statt Asphalt! Laubbaum statt Markise! Wiese statt Rasen!
Augenzwinkernd formulierte Roland Gnaiger in der AK einen Appell: Hecke statt Gartenzaun! Schotter statt Asphalt! Laubbaum statt Markise! Wiese statt Rasen! © Jürgen Gorbach, AK Vorarlberg
12.3.2025
Konsum

Roland Gnaiger: Von der Pflicht zum ökologischen und kulturellen Wiederaufbau

Bauen & Wohnen,Bildung,Energie,Gesellschaft,Klimawandel,Nachhaltigkeit

Scharf geht der Architekt Roland Gnaiger mit der hiesigen Baukultur ins Gericht und fordert einen "ökologischen und kulturellen Wiederaufbau". Bestandsnutzung statt Neubauten, Leerstandaktivierung und Bodennutzung sind geboten.

Der Verein Bodenfreiheit und die AK Vorarlberg haben den Bregenzer Architekten und emeritierten Universitätsprofessor Roland Gnaiger im Saal der AK ans Rednerpult gebeten. Warum? Das ist rasch erklärt: Viel zu viel läuft schief in der Gestaltung unseres Wohnraums, und niemand hat den Mut, entschieden gegenzusteuern. Dabei geht es AK Präsident Bernhard Heinzle zufolge um nichts weniger als um "das gute Leben für alle". Gnaiger formuliert sieben Thesen für eine nachhaltige Zukunft Vorarlbergs und zeichnet ein faszinierendes neues Bild von Stadt und Siedlung. 

Roland Gnaigers sieben Thesen:

Wem gehört Vorarlberg?

AK-Studie zeigt aktuelle Strukturen und bietet tiefgreifende Handlungsfelder.

These 1: Bestandnutzung

Am Anfang steht ein Bekenntnis: "Jahrzehntelang war ich überzeugt, dass geistig substanzlose Bauten, im Zuge eines kulturellen Wiederaufbaus entsorgt werden können." Gnaiger trat in diesen Fällen für Neubauten ein. "Angesichts unserer Klimaveränderung und der wachsenden Einsicht, wieviel Energie und hochwertiger Rohstoff in jedem einzelnen Bauteil steckt, hat sich meine Sicht gewandelt."

Roland Gnaiger: Als 1980 meine ersten großen Haussanierung im Dornbirner Hattlerdorf begann, wurden die Handwerker am Gerüst von Passanten beschimpft.
Roland Gnaiger: Als 1980 meine ersten großen Haussanierung im Dornbirner Hattlerdorf begann, wurden die Handwerker am Gerüst von Passanten beschimpft. © Jürgen Gorbach, AK Vorarlberg

Und Gnaiger weiter: "Jeder Altbau, der mit vertretbarem Aufwand sanierbar ist und den Rahmen für ein angemessenes Leben verspricht, sollte erhalten, mit Intelligenz und Kunstsinn transformiert und mit seinem neuen Kontext abgestimmt werden. Wo weder die ökonomische, noch die ökologische Vernunft und Verantwortung, auch nicht eine emotionale Bindungen oder atmosphärische Stärke den Erhalt eines Bauwerks gebietet, gilt es, Bauelemente zu sichern. Entsprechend aufbereitet, können Türen, Fenster, Böden, Beschläge oder Sanitäreinrichtung in einen neuen Zusammenhang gesetzt und weiterverwendet werden. Diese Mehode verspricht Charme und spannende Atmosphären."

Gnaiger hat sein eigenes Architekturbüro 1979 in Doren gegründet und es Anfang der 1990er Jahre nach Bregenz verlegt. Er erinnert sich gut daran, wie seine erste große Haussanierung im Dornbirner Hattlerdorf 1980 mit Spott bedacht wurde. "Die Handwerker am Gerüst wurden von Passanten beschimpft." Sich um einen "Haufen morscher Balken und bröckelnden Mauerwerks" zu kümmern, schien ihnen lächerlich. Dieses Haus hat inzwischen Preise gewonnen, "es wurde zu einem Flaggschiff der Vorarlberger Althaussanierung und kreiert noch 45 Jahr später ein glückliches Zuhause – und: in ihm wurden Fenster verbaut die Jahrzehnte lang Dienst im Kloster Mehrerau taten". 

Schluss mit Bodenspekulationen

Studie von Univ.-Prof. Dr. Peter Bußjäger zeigt deutlich: Missbrauch von Grund und Boden ist auf Landesebene eindämmbar.

These 2: Leerstandaktivierung

Leerstand ist nicht gleich Leerstand. Jede Erscheinungsform verlangt nach einem angemessenen Umgang.

Bei Leerständen im Interesse von Bevorratung, Geldanlage oder Spekulation, handelt es sich Gnaiger zufolge "um die einfachsten Fälle. Die Abgaben dafür müssen jenes Maß erreichen, dass 70 bis 80 Prozent der betroffenen Immobilien auf dem Mietmarkt landen." Dass sich der Verwaltungsaufwand dafür nicht lohne, lässt Gnaiger nicht gelten, "denn mit Gebühren, die ihr Ziel erreichen, wird sich ein fortgesetzter Aufwand erübrigen".

Wenn Häuser dagegen aufgrund komplizierter Erb- oder Familienverhältnisse leerstehen oder die anstehende Sanierung die Besitzer:innen überfordert, wenn die Wohnungs- oder Hausweitergabe scheitert oder die Scheu vor Mietvereinbarungen einfach zu groß ist, will Gnaiger "mit vertrauensbildender Beratungen oder gebotenen Sicherheiten antworten". Dafür würde er ein eigenes Instrument schaffen: "Ich stelle mir dafür eine dem Energieinstitut verwandte, Institution vor. Diese hätte eine Gruppe von Fachleuten zu versammeln, die Kompetenzen in Fragen der Mediation, des Erb- und Mietrechts, der Sanierung, inklusive der Kostenermittlung und Finanzierung, repräsentiert. Diese Einrichtung muss auch in die Lage sein, Wohnraum unter fairen und verlässlichen Bedingungen anzumieten und weiter zu vergeben. An sie sollten sich auch jene große Zahl der Bewohnerinnen wenden können, die mit dem Erhalt ihres zu groß gewordenen Einfamilienhauses und Grundes überfordert sind." Gnaiger hat betagte Menschen vor Augen, die in viel zu großen Häusern vereinsamen. "Mit attraktiven Alternativen für diese Gruppe könnte sich unser Wohnungsproblem deutlich entspannen."

»Ein alternatives Narrativ zum beziehungslos zusammengewürfelten Häusergemenge fehlt uns seit 80 Jahren. Statt »Gute Orte«, in Form lebenswerter öffentlicher Außenräume, haben wir ein belangloses Nebeneinander von Flächen realisiert.«

Roland Gnaiger

Architekt


These 3: Bodenschutz

Vor acht Jahren haben zwei Studierende von Roland Gnaiger am Beispiel eines typischen Vorarlberger Einfamilienhausquartiers bewiesen, welche ungeahnte Ressource zur Innenverdichtung in den Wohnquartieren ruht. "Sie fanden nicht nur bestätigt, dass in Österreichs Einfamilienhäusern im Schnitt lediglich ein bis zwei Personen leben, sondern auch, dass viele im Alter mit deren Pflege und Erhaltung überfordert sind", sagt Gnaiger. Er ist sich sicher, dass durch dieses studentische Nachverdichtungsprojekt auf der Fläche, auf der dazumal nur noch 19 Personen in neun Häusern wohnten, etwa 90 Menschen anspruchsvoll leben könnten. "Dafür wurden die Lücken zwischen den Häusern gefüllt, aber nicht höher als zwei- bis dreigeschoßig geplant." Dadurch würde auch der Ortsteil eine immense atmosphärische Aufwertung erfahren, ist Gnaiger überzeugt: "Zersiedelte Gebiete sind in echte Siedlungen wandelbar!"

In den Vorarlberger Gewerbegebieten  "mit den eingeschoßigen Hallen und unintelligent genutzten Zwischenräumen" ortet Gnaiger ein analoges Nachverdichtungspotential. "Die enorm großen PKW-Stellflächen können in Parkdecks mit fünf bis sechs Geschoßen geschichtet und die freiwerdenden Böden begrünt werden, Hallen können aufgestockt und Neubauten von Beginn an mehrgeschossig errichtet werden." Dass eine Produktion auf mehreren Ebenen auch heute erfolgreich möglich ist, wird in urbanen Bereichen, (z.B. Firma »Manner« in Wien) und von einschlägigen Neubauprojekten bewiesen. Vor jedem weiteren Eingriff in die Landesgrünzone müssen diese Möglichkeiten geprüft und genutzt werden.

HouseEurope!

Das Vorarlberger Architekturinstitut VAI informiert: Die europäische Bürger|inneninitiative HouseEurope! will Anreize schaffen, damit das Sanieren von Gebäuden zur neuen Norm wird.

These 4. Angemessene Bebauungsdichte 

"Wenn ich größere Bebauungsdichten anrege oder fordere, meine ich das in einem untrennbaren Zusammenhang mit einer höheren Raum-, Siedlungs- und Lebensqualität, während Laien offensichtlich vor allem die Bedrohung durch Bauhöhen oder den Verlust von Grün- und Landschaftsraum fürchten." Das liegt Gnaiger zufolge daran, dass wir kaum inspirierende und motivierende Besiedlungen mit größerer Dichte vorweisen können. "Somit bleibt mir nichts anderes übrig, als auf die Altstadtzentren von Feldkirch, Hohenems oder Bregenz zu verweisen. Ich denke bei Dichte und Nachverdichtung immer an den erzielbaren Flächengewinn für Landschaft und Gärten, an ruhige, gefasste, einladende öffentliche Straßen und Plätze, an kürzere Wege, weniger Platz für Verkehrswege, einen geringeren Versiegelungsgrad und an einen leichter finanzierbaren öffentlichen Verkehr. Das alles ist auch ohne großer Bauhöhen erreichbar."

These 5: Neue Mobilität und Zentrumsstärkung

Der motorisierte Individualverkehr hat die Lebens- und Aufenthaltsqualität in den Städten verdorben. Seine Raumdominanz, sein Platzanspruch, seine Gefährdung, seine Luft- und Lärmemissionen und seine visuellen Verheerungen haben Bewohner, Dienstleister und den Handel in die Flucht geschlagen und die Zersiedlung des Landschaftsraums befördert. Gnaiger ist überzeugt: "Um den Menschen die Städte zurückzugeben, müssen wir sie vom privaten Auto befreien. Nur in Begegnungs- und Fußgängerzonen kehren Lebensqualität und (vielleicht teilweise) der Handel zurück!"

These 6: Biodiversität in Siedlungen und Städten

"Zur Geburt unsers Sohns habe ich meiner Frau, auf den Wiesen um unser Haus, einen üppigen Blumenstrauß gepflückt. 45 Jahre später würde derselbe Versuch zu einem jämmerlichen Ergebnis führen: Von den damals rund 70 Gräsern, Kräutern und Blumen haben nur 12 bis 14 der Gülleflut und jährlich 5-fachen Mahd getrotzt. Will ich den Frühling nicht nur anhand von Löwenzahn, Hahnenfuß und der Blüte der letzten Laubbäume und Sträucher erleben, wechsle ich in die Stadt. In ihren Hausgärten zeigt sich das Erwachen des Jahres vitaler und bunter. Die ästhetischen Leitbilder der Städte scheinen weniger rigide zu sein, als die ökonomischen der Landwirtschaft."

In den suburbanen Räumen findet Gnaiger eine große Chance für die Wiedergeburt der Biodiversität. "Sind die Hausgärten mit der Sterilisierung der Natur vorausgegangen, so können sie, fünfzig Jahre später, ihren Fehler begleichen, indem sie bei der Rückkunft der Artenvielfalt voranschreiten." Eine reichhaltige Durchgrünung unserer Siedlungen hat noch andere wohltuende Folgen, betont Gnaiger: "Sie unterstützt die Abwehr der Klimakatastrophe, ist die wirksamste Maßnahme gegen die sommerliche Überhitzung, verbessert die Luftqualität, stabilisiert den Wasserhaushalt, fördert den Erholungswert der Gärten und damit unsere Gesundheit, und lässt eine seelennährende Poesie erblühen."

Grünfassade

Conrad Amber hat im Auftrag der AK die größte Grünfassade in Vorarlberg und eine der fünf größten in ganz Österreich realisiert. Am 7. Oktober 2025 spricht er in der AK Reihe "Wissen fürs Leben".

Wien, Paris, Kopenhagen gehen unserem Rheintal entschlossen voraus. In großem Stil werden Baumpflanzungen forciert, Fassadenbegrünung verordnet, Regenwasser zurückgehalten, die motorisierte Mobilität verringert und der Stickoxydgehalt in der Luft reduziert. An solchen Metropolen sollte sich unsere Metropolregion messen! 

Roland Gnaigers Appell: 

  • Hecke statt Gartenzaun!
  • Schotter statt Asphalt! 
  • Laubbaum statt Markise! 
  • Wiese statt Rasen!

These 7: Die Kunst und ein neues Bild von Stadt und Siedlung

Ohne Kunst bleibt Bauen in Gnaigers Augen "zynisch, banal oder brutal". Siedlungen und Städte entspringen dem Wert des »Raumes zwischen den Häusern«. "Seit Jahrzehnten widmen wir uns fast ausschließlich Bauten, deren Umgebung als beiläufiges Nebenprodukt entstehen. Diese untaugliche Hirarchie von Körper und Raum gilt es umzudrehen. Dem »zwischen den Baukörpern« ist unsere Zuwendung und Sorgfalt zu schenken. Nachdem ein »sinngebender sozialer Raum« (Herman Herzberger) definiert ist, wird den rahmenden Baukörpern eine angemessene Stellung und ein stimmiger Platz zugewiesen!"

Gnaigers Vortrag gipfelt in einer faszinierenden Vision: "Dörfer und Städte sind unsere bedeutendsten, von vielen Generationen gestalteten »Gesamtkunstwerke«. Ein erneuerter Anschluss an deren Großartigkeit bedarf (wie jede andere Neuentwicklung) eines lebendigen Bildes von Siedlung und Stadt. Demokratische Gesellschaften haben dieses Ziel gemeinsam zu deklarieren und zu konkretisieren: Plätze und Straßen, Gassen und Gässchen, Höfe, Arkaden und Lauben laden Kinder und Alte ein, schenken den Bewohnerinnen Struktur und Zuhause.

Begegnung und Gemeinschaft lebt auf, das »Gespräch« zwischen den Häusern durchdringt die Räume: manche geometrisch geschnitten, groß und erhaben, andere intim und klein, einzelne hell, andere dunkel, einige eng, die anderen weit. Zahllos kehren Winkel, Übergänge, Durch- und Einblicke und gerahmte Perspektiven in unsere Siedlungen und Städte ein und egalisieren die alten, banalen Zwischenräume. Gute Orte, unverwechselbare Siedlungen, Dörfer und Städte entstehen!

Respekt Sorgfalt, Sachverstand, sowie ein liebevolles Verhältnis zum Bauen und (!) zur Natur, sind für alle genannten Punkte unverzichtbar."

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