Cornelia und Andreas Diesenreiter konnten mit Unverschwendet und Rettenswert bereits mehr als 1.000.000 Kilo wertvoller Lebensmittel retten. „Im selben Zeitraum wurden uns über 15.000.000 Kilo angeboten.“
Cornelia und Andreas Diesenreiter konnten mit Unverschwendet und Rettenswert bereits mehr als 1.000.000 Kilo wertvoller Lebensmittel retten. „Im selben Zeitraum wurden uns über 15.000.000 Kilo angeboten.“ © Sebastian Kreuzberger, SLKphoto.at
04. 09. 2023
Konsum

Gute Lebensmittel in den Mistkübel? Das kann so leicht vermieden werden!

Arbeit,Bildung,Einkaufen,Gesundheit,Klimawandel,Wissen fürs Leben

Vom 23. bis 29. September machen Aktionen in ganz Österreich darauf aufmerksam, wie viele Lebensmittel wir täglich verschwenden. Cornelia Diesenreiter, die vor einem Jahr in der AK Reihe „Wissen fürs Leben“ zu Gast war, hat mit ihrem Team bis heute mehr als eine Million Kilo noch guter Lebensmittel vor dem Mistkübel bewahrt. Im Interview erzählt sie von ihrer Arbeit und gibt Tipps, was jede:r einzelne tun kann.

Ein Mann, der in die Kamera blickt


Miso aus Mohnsamen

AK Vorarlberg: Vor fast einem Jahr warst Du bei uns in der Reihe „Wissen fürs Leben“ zu Gast. Wie hat sich „Unverschwendet“ seither entwickelt?

Diesenreiter: Unsere Mission verfolgen wir stetig weiter und unser Bestreben so viel wie möglich zu retten, haben wir vom Feld auf produzierende Betriebe ausgeweitet. Neben Überschüssen von Acker und Baum, sind für uns auch sogenannte "Nebendarsteller" besonders spannende Überschussquellen. So bleibt zum Beispiel bei der Mohnölherstellung ein Überschuss aus den Mohnsamen, der sich Presskuchen nennt. Dieser Bio-Rohstoff hat gemeinsam mit Rollgerste und einem Edelschimmel gereift. Daraus ist nun ein wunderbares Miso geworden, eine Würzpaste, die man aus der japanischen Küche kennt.

Dass Früchte, die optisch nicht einwandfrei sind, ganz schlechte Karten haben, bleibt weiterhin ein Ärgernis.
Dass Früchte, die optisch nicht einwandfrei sind, ganz schlechte Karten haben, bleibt weiterhin ein Ärgernis. © Sebastian Kreuzberger, SLKphoto

Doch neben den schönen Geschichten rund um unsere Feinkost gibt es auch dramatische Entwicklungen, auf die wir uns nun fokussieren möchten: Laut aktuellen Studien werden allein in Österreich jährlich mehr als 288.800 Tonnen wertvoller Lebensmittel bereits am Beginn der Wertschöpfungskette in der Landwirtschaft und Produktion weggeworfen und damit all die bei der Erzeugung verbuchten wertvollen Ressourcen. Dennoch häufen sich seit 2021 Medienberichte, dass der Bedarf sozialer Einrichtungen an Warenspenden die Verfügbarkeit um ein Vielfaches übersteigt. Corona, Ukrainekrieg und laufende Teuerungen haben dazu geführt, dass immer mehr Menschen von Armut betroffen und auf gespendete Lebensmittel angewiesen sind. Wir von Unverschwendet sind der Meinung, dass die Lösung dieser sich zuspitzenden Problematik in Zukunft nicht im Konkurrenzieren um schwindende Warenspenden des Handels zu finden sein wird, sondern es eine systemische Transformation unter Einbezug aller relevanten Stakeholder:innen zum ungenutzten Potenzial am Beginn der Wertschöpfungskette braucht. Unverschwendet hat sich über acht Jahre Know How im Umgang mit Überschüssen aus der vorgelagerten Wertschöpfungskette erarbeitet und möchte dieses Know How für die Transformation der Versorgung von sozialen Einrichtungen nutzen und dir dringend notwendige Brücke zwischen überschüssigen Lebensmitteln aus der Landwirtschaft zu sozialen Einrichtungen schaffen.

Herzstück in neuem Glanz

AK Vorarlberg: Das Herz Eurer Initiative schlägt noch immer am Wiener Schwendermarkt. Dort hast Du mit Deinem Bruder Andreas und ersten Mitarbeiter:innen in liebevoller Handarbeit Gläschen eingekocht. Heute seid Ihr ein Unternehmen mit Büro und Lagerhalle und der Kooperation mit einer großen Handelskette. Was hat das  verändert?

Diesenreiter: Wir erleben gemeinsam hautnah, was es heißt, von einem Start-up zu einem Jungunternehmen zu wachsen und mit einem motivierten Team so viel wie möglich an wertvollen Rohstoffen zu retten. Unser Herzstück, der Marktstand am Wiener Schwendermarkt, wird übrigens aktuell renoviert und wird im Oktober als neues, feines Schmuckstück eröffnet.

So viel Lebensmittelabfall fällt in Europa an. Das geht aus einer Schätzung des Europäischen Statistikamts Eurostat hervor.
So viel Lebensmittelabfall fällt in Europa an. Das geht aus einer Schätzung des Europäischen Statistikamts Eurostat hervor. © Statistisches Amt der Europäischen Union, Eurostat

AK Vorarlberg: Wären nicht Dependancen in den Bundesländern der nächste logische Schritt? Sucht Ihr Kooperationspartner?

Diesenreiter: Mit vielen der Greißlereien und Feinkostläden in ganz Österreich verbindet uns eine enge Partnerschaft. Unsere Feinkost und Geschenke sind beliebt im Sortiment. Wir freuen uns immer, wenn wir Fotos von Betreiber:innen und zufriedenen Kund:innen aus den Bundesländern bekommen, wenn sie ihr Unverschwendet Produkt im Regal entdeckt haben. Und noch mehr freuen wir uns, neue Partner:innen in unserem wachsenden Netzwerk aus Genuss-Expert:innen begrüßen zu dürfen.

Diesenreiter:  Man muss auch nicht sofort Veganer:in werden. Wenn alle Menschen einen fleischlosen Tag pro Woche einlegen, hat das einen größeren Impact als alle Veganer:innen aktuell zusammen.
Diesenreiter: Man muss auch nicht sofort Veganer:in werden. Wenn alle Menschen einen fleischlosen Tag pro Woche einlegen, hat das einen größeren Impact als alle Veganer:innen aktuell zusammen. © Sebastian Kreuzberger, SLKphoto

Als wir Unverschwendet gegründet haben, dachten wir, dass wir innerhalb kürzester Zeit Zweigniederlassungen in Österreich gründen werden, um ganz regional Überschüsse retten zu können. Da hatte wir die Komplexität und das Ausmaß des Problems noch völlig unterschätzt, mittlerweile wissen wir, dass es ein breites Portfolio an unterschiedlichen Geschäftszweigen braucht, um für alle Überschüsse eine Lösung zu finden. Überschüssiger Salat eignet sich nicht für die Marmeladenproduktion und verhagelte Marillen nicht für den Frischeverkauf. Deshalb arbeiten wir daran immer mehr Lösungen anbieten zu können.
 
AK Vorarlberg: Wer an einem heißen Sommertag am Bodensee schwimmen geht, erhält zum Ende des Tages rund um die Grillplätze Anschauungsunterricht in Lebensmittelverschwendung? Woher rührt diese latente Versorgungspanik, die uns immer wieder zu viel einkaufen lässt?

Diesenreiter: Es gibt nicht die:den eine:n Schuldige:n im System, uns ist es bei unseren Bewusstseinsmaßnahmen auch immer ganz wichtig, nicht mit dem Finger auf jemanden zu zeigen. Wir leben in einem sehr komplexen System und ständige Verfügbarkeit, perfektes Obst & Gemüse, Angebote, die den Bedarf übersteigen, all das trägt dazu bei, dass weggeworfen wird. Da unsere Leben höchst individuell sind, passt nicht jede offerierte Verhaltensänderung für jeden Menschen. Wenn ich jemand bin, der immer wieder viel und auch spontan unterwegs ist, wird mir ein minutiös geplanter Wocheneinkauf im Supermarkt nicht zu weniger Lebensmittelabfall verhelfen. Wenn es für mich nach einem langen anstrengenden Tag nichts Schöneres gibt, als ein Vollbad zu nehmen, wird mir eine schnelle, effiziente Dusche nicht zur notwendigen Entspannung verhelfen. Wenn das Auto ein geliebtes Hobby ist oder man in ländlichen Gebieten nur eine katastrophale öffentliche Verkehrsanbindung hat, wird man nicht auf das Fahrrad umsteigen. Es verhält sich im Grunde wie bei einer Diät: Zu großen Verzicht halten wir auf Dauer nicht durch, wir geben nach wenigen Tagen wieder auf. Am besten fängt man dort an, wo es einem selbst am leichtesten fällt, und hat dann schnell Erfolgserlebnisse. Das macht dann auch Lust auf mehr. Die Bewusstseinsbildung der breiten Masse ist die Königsdisziplin der Nachhaltigkeit und ein langer Prozess. Wir versuchen hier einen wertvollen Beitrag zu leisten, doch bis es soweit ist, bieten wir Lösungen, die auch so funktionieren.

Gefühl von Machtlosigkeit

AK Vorarlberg: Bis 2030 will Österreich die Lebensmittelabfälle im Land halbieren. Das große Ziel der EU lautet, sich bis 2050 von einer Wegwerf- in eine Kreislaufwirtschaft zu entwickeln? Auf Lebensmittel bezogen: Was würde die Konsument:innen auf diesen Weg führen? Wie mach ich ihnen das „schmackhaft“?

Diesenreiter: Verständlicherweise fühlt man sich als Einzelne:r angesichts der Größe und Komplexität des Problems oft machtlos. Wenn man aber anerkennen kann, dass man selbst Teil des Problems ist, kann man schon erkennen, dass man dadurch automatisch Teil der Lösung sein kann. Nahezu jede unserer Handlungen – vom Aufstehen bis zum Schlafengehen – hat nachhaltige Konsequenzen. Das Motto lautet: Jede nachhaltige Handlung ist besser als keine. Bei der Ernährung am besten, wo immer möglich, regional, saisonal & biologisch entscheiden. Man muss auch nicht sofort Veganer:in werden. Wenn alle Menschen einen fleischlosen Tag pro Woche einlegen, hat das einen größeren Impact als alle Veganer:innen aktuell zusammen. Ein wesentlicher Baustein für die Bewusstseinsbildung der Konsument:innen wird es sein, die Wertigkeit von Lebensmittel aufzuzeigen und die Arbeit die in jeder einzelnen Frucht steckt.

AK Vorarlberg: Seit 2016 arbeitet Ihr mit Eurem Label „Unverschwendet“ daran, Lebensmittelüberschüsse aus der Landwirtschaft sinnvoll zu verwerten. Ihr habt Obst und Gemüse eine zweite Chance gegeben. Was würdest Du von heute aus betrachtet anders machen? Eure größten Learnings?

Kaum zu ertragen

Diesenreiter: Wir konnten mit Unverschwendet und Rettenswert bereits mehr als 1.000.000 Kilo wertvoller Lebensmittel retten. Im selben Zeitraum wurden uns über 15.000.000 Kilo angeboten. Diese große Diskrepanz von Angebot und was wir tatsächlich retten können war am Anfang kaum zu ertragen, und wir haben (zu) früh damit begonnen immer für alles eine Lösung anbieten zu wollen. Wir mussten lernen, dass Lebensmittelrettung und der Aufbau von unserem Portfolio und Lösungsansätzen Zeit braucht und man nicht sofort immer alles retten kann. Das war hart, aber wichtig.

Fünf einfache Tipps

AK Vorarlberg: Gib uns doch fünf Tipps, wie jede:r Einzelne sein Schärflein beitragen kann…

Diesenreiter: Tipps für mehr Nachhaltigkeit, die leicht umsetzbar sind:

  1. Nicht nur bei frischem Obst und Gemüse darauf achten, wo es herkommt, sondern auch bei verarbeiteten Produkten wie Säften, Ketchup, Marmeladen und Fertigprodukten.
  2. Wenn ich die Produkte zeitnah – vielleicht sogar am selben Tag – verarbeiten möchte, dann einfach zum Produkt mit dem kürzesten Mindesthaltbarkeitsdatum greifen und dazu beitragen, dass im Supermarkt weniger weggeworfen werden muss.
  3. Sich nicht verführen lassen von 2+1 Gratis Aktionen und Multipacks, wenn man eigentlich schon weiß, dass es zu viel sein wird.
  4. Sollte es doch mal zu viel sein, könnte ein Einkochen und Haltbarmachen helfen. Manche Dinge lassen sich auch gut einfrieren oder mit lieben Menschen aus dem Umfeld teilen.
  5. Trocken gewordenes Brot, kann zu Brösel für die nächste Panada gerieben werden. Aber auch hier gilt, nicht jeder Tipp ist für jede:n geeignet.

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Was kommt bei Wissen fürs Leben?

In der AK Reihe Wissen fürs Leben, in der Cornelia Diesenreiter im Oktober 2023 zu Gast war, erwartet Sie eine Vielfalt an inspirierenden und hilfreichen Gedanken. Alle Termine unserer Vortragsreihe finden Sie hier – wir freuen uns auf Ihre Anmeldung!

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