Cornelia und Andreas Diesenreiter stehen für „Unverschwendet“. Auch heuer wollen sie mit ihrem Team wieder an die 100.000 kg Obst und Gemüse retten, das sonst fortgeworfen würde.
Cornelia und Andreas Diesenreiter stehen für „Unverschwendet“. Auch heuer wollen sie mit ihrem Team wieder an die 100.000 kg Obst und Gemüse retten, das sonst fortgeworfen würde. © Elena Vojnovic, Unverschwndet
04. 09. 2023
Konsum

Cornelia Diesenreiter: Im Bemühen um Nachhaltigkeit, aber ganz ohne erhobenen Zeigefinger

Arbeit,Bildung,Einkaufen,Gesundheit,Klimawandel,Wissen fürs Leben

Zu klein, zu groß, zu krumm – Wir hegen so hohe Ansprüche an Obst und Gemüse, dass es nur die Makellosen in den Supermarkt schaffen. Tomaten scheitern täglich an der Rot-Ton-Karte, Marillen mit Druckstellen fallen ohnedies durch … aber bei Cornelia Diesenreiter sind sie alle  willkommen. In Wien rettet die gebürtige Oberösterreicherin seit 2006 Lebensmittel im großen Stil. Sie hat ein Buch über ihre Motivation geschrieben. Am 3. Oktober 2023 ist sie in der AK Reihe "Wissen fürs Leben" zu Gast.

  • Knietief im Müll
  • Abgekocht und eingeweckt
  • Datenbank und Überschussbörse
  • Ganz ohne die moralische Keule

    Im Grunde ist sie Köchin. Köchin aus Leidenschaft. Cornelia Diesenreiter hatte in ihrer Mutter ja auch ein glänzendes Vorbild. Überhaupt ist sie in Steyr "umgeben von begnadeten Köchinnen traditioneller Hausmannkost" groß geworden. Das beschreibt sie so farbig, dass man die kleine Cornelia richtiggehend sehen kann, wie sie sich die Finger leckt nach Mamas Schweinsbraten. Aber dann erwischte sie die Geschichte von Schweinchen Babe, sie litt an der Ungerechtigkeit der Welt, wie wache Jugendliche das tun. Und ging studieren…

    Erst „Recht und Wirtschaft“ in Salzburg. Sie fand aber statt der Antworten auf ihre drängenden Fragen nach Hungerlöhnen und klimaschädlicher Misswirtschaft nur Anleitungen zu Effizienzsteigerung und Kostenminimierung. Ihren persönlichen Werten von Verantwortung und Nachhaltigkeit und ihrer Liebe zur Natur lief das zuwider. Also studierte Diesenreiter  „Umwelt- und Bioressourcenmanagement“ an der BOKU in Wien, sowie „Design und Innovation for Sustainability“ in England. Aber ihr persönliches Schlüsselerlebnis war  dann bei weitem bodenständiger.
Ein Mann, der in die Kamera blickt


Knietief im Müll

"2012 stand ich mit Sicherheitshandschuhen und einer Atemschutzmaske mitten in 1,5 Tonnen Restmüll." Für ihr Studium wollte Cornelia Diesenreiter herausfinden, was Menschen alles in den Restmüll schmeissen. Sie fand vor allem "eine Unmenge originalverpackter, noch nicht einmal abgelaufener Lebensmittel". Da lagen frische Karotten, Joghurt und ein ganzes Rudel an taufrischen Osterhasen. Am Ende stand Cornelia Diesenreiter vor rund 400 Kilo größtenteils noch genießbaren Lebensmitteln. Später recherchierte sie, dass jedes Jahr in Österreich laut Schätzungen des WWF eine Million Tonnen genießbare Lebensmittel weggeworfen werden.

Die Geburtsstunde ihrer Initiative "Unverschwendet" schlug in Wiener Schrebergärten, deren Besitzer:innen nicht ernten konnten oder wollten. Cornelia übernahm das, und in Erinnerung an "die begnadeten Köchinnen in meiner Familie" kochte sie all das Obst und Gemüse ein: Marmeladen, Säfte, Chutneys entstanden. Die junge Frau wurde rasch in weitere Gärten eingeladen. Freunde begeisterten sich für die Idee. Cornelia und ihr Bruder Andreas gründeten 2015 den kleinen Verein "Unverschwndet".  Von da an ging’s rasant voran.

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Cornelia Diesenreiter stellt Fragen, z. B.: „Wusstest Du, dass in Wien jeden Tag so viel Brot im Müll landet wie ganz Graz konsumiert? © Harald Eisenberger, Unverschwendet

Abgekocht und eingeweckt

In Zahlen ausgedrückt: 2015 umfasste die Menge an Eingewecktem 500 Gläser, 2016 waren es schon 5000, dann 35.000, und in den letzten Jahren bewältigt das Team eine stetig wachsende sechsstellige Anzahl an Gläschen. „Auch diese Saison wollen wir wieder mehr als 100.000 Kilo retten“, sagt Diesenreiter.

Datenbank und Überschussbörse

Aus dem Verein ist längst ein Unternehmen erwachsen. 2017 haben die Diessenreiters noch selber geerntet und alle Produkte selbst hergestellt. Ein Jahr später haben sie die Feinkostproduktion ausgelagert, um sich voll auf die weiteren strategischen Schritte zu konzentrieren.

„Unver­schwendet entwickelte eine Datenbank, um die Über­schüsse planbar zu machen und sie über eine Überschussbörse regional an die Gastronomie und Großküchen zu verteilen. Zusätzlich arbeiten sie mit großen Partnerbe­trieben daran, wie sie gemeinsam mit Lebensmittelpro­duzenten die Überschüsse in ihrer eigenen Produktion verwenden können. 2019 wurde das Einzelunternehmen in die Unverschwendet GmbH eingebracht, an der die Geschwister jeweils 50 Prozent halten.“ So steht es in der digitalen Hall of Fame von Ernst & Young, die das Geschwisterpaar in der Kategorie „Social Entrepreneur“ haben. Cornelia Diesenreiter ist inzwischen zu einer gefragten Rednerin geworden im In- und Ausland.

Vermeidbare Lebensmittelabfälle in Österreich pro Jahr – Statistik des WWF
Landwirtschaft121.100 Tonnen
Großhandel10.300 Tonnen
Einzelhandel74.100 Tonnen
Haushalt206.000 Tonnen
Außer-Haus-Verpflegung175.000 Tonnen

Ihr Laden am Wiener Naschmarkt kann die Ambitionen der Diesenreiters schon nicht mehr fassen. 2019 organisierte Unverschwendet in Österreich erstmals eine Konferenz zur Problemlösung von Lebens­mittelabfällen in der Landwirtschaft mit einer Paten­schaft des Bundesministeriums für Nachhaltigkeit und Tourismus und der Landwirtschaftskammer Österreich. Die Diesenreiters denken darüber nach, wie Unverschwendet auch auf europäischer Ebene Wirkung zeitigen könnte.  Denn eine wachsende Bewussteinsbildung in der Bevölkerung und so viel Obst und Gemüse wie möglich vor dem Abfallkübel zu bewahren, dieses Ziel hält sich nicht an nationale Grenzen.

Ganz ohne die moralische Keule

Zuletzt hat Cornelia Diesenreiter ihr Engagement und ihre Ziele in einem Buch erläutert. Sie hat es – leicht verstörend – mit "Nachhaltig gibt’s nicht" übertitelt. Wie jetzt? Alles umsonst? Nein, ganz im Gegenteil.  Cornelia Diesenreiter beschreibt darin einfach, dass wir uns die Perfektionsvorstellung eines nachhaltigen Lebens abschminken müssen. "Die aktuellen Perfektionsansprüche und die Illusion der Unfehlbarkeit erzeugen einen enormen Druck, ein abgehobenes Image und eine katastrophale Fehlerkultur."

Sie selber, schreibt sie, setze jeden Tag eine ganze Menge an Handlungen, die nicht nachhaltig sind. Aber sie versteckt ihre Fehler und Schwächen nicht und sie zeigt nicht mit dem Finger auf andere. Die perfekte Nachhaltigkeit gibt es nicht. Aber das stete Bemühen um einen nachhaltigen Lebensstil kann menschlich und nahbar sein. Darüber spricht Cornelia Diesenreiter am Dientag, 3. Oktober 2023, ab 19:30 Uhr in der AK-Reihe "Wissen fürs Leben" in der AK in Feldkirch. Der Eintritt ist frei.

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