Thilo Bode
Thilo Bode: Lebensmittel sind ein sogenanntes „Vertrauensgut“ – deshalb muss der Gesetzgeber die Bürger:innen vor Werbelügen schützen. Foodwatch verleiht jedes Jahr als Preis für die dreisteste Werbelüge den "Goldenen Windbeutel". © foodwatch/Sabrina Weniger
07.07.2023
Bildung

Brennpunkt Lebensmittelmarkt: Nur die Politik kann das Täuschen und Schwindeln beenden

Bildung,Veranstaltungen,Wissen fürs Leben

„Aroma Typ Himbeere“ aus Zedernholzextrakt, glänzende Äpfel, aber durch jede Menge Pestizide hochallergen, Honig, dessen Etikett einen heimischen Wald und glückliche Bienen zeigt und der doch in einer chinesischen Fabrik hergestellt wurde: Solche ernüchternden Beispiele hat Thilo Bode in sein Buch „Der Supermarkt Kompass“ gepackt. In der AK-Reihe „Wissen fürs Leben“ zeigte er auf, woran unser Ernährungssystem krankt.

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Wer ist Thilo Bode?

Er ist Soziologe und Volkswirt. War lange Geschäftsführer von Greenpeace. 2002 hat er unter dem Eindruck des BSE-Skandals die Verbraucherorganisation Foodwatch gegründet und fast 20 Jahre lang geleitet. Erst 2021 hat er sich aus der Organisation zurückgezogen. Jenseits der 70 darf man das. Thilo Bode hat zahlreiche Bücher geschrieben. Darunter „Die Demokratie verrät ihre Kinder“ (2003), „Abgespeist: Wie wir beim Essen betrogen werden“ (2007), „Die Diktatur der Konzerne“ (2018) und jetzt ganz aktuell „Der Supermarktkompass“. Er hat ihn gemeinsam mit dem Journalisten Stefan Scheytt verfasst.

Ein Mann, der in die Kamera blickt


(K)ein Kompass

Das Buch ist glänzend geschrieben. Streckenweise amüsant, dann wieder bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Thilo Bode schafft Orientierung, aber einen Kompass drückt er den Leser:innen nicht in die Hand. Nicht in dem Sinne, dass sie damit durch den Lebensmittelmarkt navigieren könnten und am Ende nur die besten, günstigsten und gesündesten Lebensmittel zur Kassa trügen. Nein, so einfach geht es nicht.


Im Gegenteil. Gründlich räumt Thilo Bode mit der Mär auf, dass sich alles zum Besten wenden würde, wenn nur endlich der Konsument seine Macht ausspielte. Er hat ja keine. X-fach hinters Licht geführt, mit Marketinggags statt Information überfüttert, taumelt er mit geröteten Augen, denen die kleine Schrift auf den Dosen und Packungen so zugesetzt hat, zwischen den prallgefüllten Regalen und weiß im besten sokratischen Sinn, dass er nichts weiß. Nicht, woher die Tomaten wirklich kommen. Nicht, was das teure vom billigen Olivenöl unterscheidet. Nichts darüber, ob das Schwein, das so munter über das Etikett des vakuumverpackten Schinkens tollt, in Wahrheit saumäßig gelitten hat.


Als Staatsbürger gefordert

Der Konsument ahnt so manches. Nachprüfen kann er’s nicht. Für Thilo Bode hat das Methode. Er nimmt den Handel in die Pflicht, vor allem aber die Politik. Denn, gewiss: Den Supermärkten kommt in Zeiten der Teuerung eine besondere Verantwortung zu: "Sie sind es, die die Bevölkerung mit guten und erschwinglichen Lebensmitteln versorgen sollen", sagt Bode. Aber dass einer der großen Konzerne von sich aus Nachteile im Wettbewerb riskiert, indem er vorprescht, und z. B. völlig überzuckerte Produkte aus dem Sortiment nimmt, steht kaum zu erwarten. Nur andere Gesetze würden helfen, etwa eine Verpflichtung zu verständlichen Nährwertkennzeichnungen auf der Vorderseite der Verpackungen. Das macht der 300 Seiten starke Streifzug durch ein zerstörerisches Agrar- und Ernährungssystem überdeutlich: Der Mensch ist weit weniger als Konsument, wohl aber als Staatsbürger gefordert.


Lebensmittel sind Vertrauensgüter

Aber was kann er tun? "Beschweren Sie sich", rät Bode bei "Wissen fürs Leben". Denn Lebensmittel sind Vertrauensgüter. Ich muss mich darauf verlassen können, dass drin ist, was drauf steht bzw. das heimelige Honigetikett nicht durch gepanschten Inhalt aus China konterkariert wird. "Denn die Bohrmaschine, die nicht funktioniert, können Sie zurückgeben. Das Dioxin-belastete Ei, das Sie gegessen haben, nicht."

Deshalb fordert Bode die Konsument:innen auf, es ihm gleichzutun: "Wenn sie im Supermarkt vor 15, 20 Olivenölen stehen – alle native extra, also in der höchsten Qualitätsklasse – und die Preise variieren zwischen 5 und 30 Euro, dann fragen Sie doch mal nach dem Qualitätsunterschied. Oder welche Pestizide in den Erdbeeren drin sind, die da gerade so verlockend im Körbchen liegen. Machen Sie das mal, vielleicht hinterlässt das doch einen Eindruck." Denn ohne, dass die Bürger sich wehren, "wird sich nichts ändern".

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