6. September 2021
Bildung
Schule muss verlässlich sein
Bildung,Gesellschaft,Politik
54.304 Kinder und Jugendliche und 6735 Lehrer:innen beginnen am 13. September in Vorarlberg das zweite Schuljahr im Schatten der Corona-Pandemie. Ist die Schule krisenfit? Holen Schüler:innen Versäumtes heuer nach? Werden Eltern genügend Geld und Zeit haben, die der Schulbesuch ihrer Kinder erfordert? Die AK hat die Kosten untersucht und verlangt aus gutem Grund die Wiedereinführung der Sonderbetreuungszeit.
Inhaltsverzeichnis
Max kommt in die Schule. Er misst jetzt stolze 119 Zentimeter. Das hat er heute morgen am Türstock nachkontrolliert. Dort hat Mama ein Maßband hin geklebt und mit Filzstift die Fortschritte angezeichnet. Aber er misst heimlich nach. Man weiß ja nie.
Max freut sich riesig. Nicht, dass er auf die Kindergartenkinder jetzt herabblickte. Aber Schule, das ist doch ganz etwas anderes! Wenn nur nicht wieder… Aber seine Schwester Ida sagt, nein, sie würden heuer richtig zur Schule gehen. Ida kommt ins Gymnasium. Die muss das wissen. Und dass sie sich nicht wieder monatelang um einen Laptop balgen müssen, ist auch nicht von Pappe. Max spielt doch so gerne. Ida hat ein cooles Spiel installiert. Das darf Papa nicht wissen. Aber im Vorjahr hat Ida Hausaufgaben machen müssen und die Schule am Laptop besucht. Teams-Sitzungen statt Computerspiel. Das war richtig öde. So was möchte Max nicht.
Damit ist er nicht allein. 5090 Buben und Mädchen sitzen heuer mit ihm in Vorarlberg das erste Mal in einer Schulklasse, in ganz Österreich sind es mehr als 87.000. Und alle hoffen wie die älteren Semester auch, dass es diesen Herbst klappt und der Distanzunterricht der Vergangenheit angehört.
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Dunkle Wolken am Horizont
Ist die Hoffnung berechtigt? Die Intensivstationen, die sich unaufhaltsam füllen, bilden die große dunkle Wolke, die (nicht nur) über den Schulen schwebt. In dem Ausmaß, in dem die Infektionszahlen von Tag zu Tag zulegen, fährt die Impfquote in den Keller. Wohin das führt? Der nächste Lockdown im Herbst mit den Schulen als erste Instanz, die der Pandemiebekämpfung ihren Tribut zollt?
Davor graut vielen. Für Landestatthalterin Barbara Schöbi-Fink „ist die Rückkehr ins Distance Learning keine Option“. Denn „Eltern und Kinder brauchen eine stabile Schule“. Das sehen alle so. Selbst die WHO und das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) formulierten den dringenden Appell, die Schulen offen zu halten und die Millionen Kinder, für die jetzt wieder der Schulalltag beginnt – noch immer unter Pandemiebedingungen, verschärft durch die Delta-Variante –, durch „geeignete Maßnahmen zur Minimierung der Übertragung des Virus wirksamer zu schützen“.
Diese Maßnahmen benennt Schöbi-Fink mit zwei Wörtern: Impfen und Testen. Denn Eltern müssen sicher sein, dass ihre Kinder jeden Tag in die Schule können. „Dafür muss alles getan werden“, betont die Statthalterin.
AK-Präsident Hubert Hämmerle überreichte Isabelle Wallis, Bianca Haunschmid und Jessica Resch je 1000 Euro. Durch ihre Mitarbeit an der Schulkostenstudie hatten sie am Gewinnspiel teilgenommen. © AK Vorarlberg, Jürgen Gorbach
Wo die rote Linie ist
Für Lehrkräfte, die eine Impfung fürchten, bleibt sie gesprächsbereit. „Sich impfen zu lassen, ist eine freie Entscheidung, auch die freie Entscheidung des Lehrers.“ Entscheidet sie oder er sich dagegen, „müssen sie PCR-Tests machen“. Nachsatz: „Das erfordert die Dienstpflicht.“ Gerade habe sie mit einem Direktor sehr intensiv gesprochen, sagt Schöbi-Fink. Und zwar mit der klaren Marschrichtung: „Ich hör Dich an und ich sage Dir, wo die rote Linie ist.“ Es geht ihr um „das hohe Gut, den Präsenzunterricht für alle zu erhalten“. Wenn Dienstpflichten nicht eingehalten wurden, ist es schon im Vorjahr „bis zur Entlassung gegangen“.
Während in ganz Österreich fast 6000 Kinder vom Schulbesuch abgemeldet wurden – werden in Vorarlberg 200 Abmeldungen zu verkraften sein. Im Schuljahr 2020/21 gab es 136 Genehmigungen, ein Jahr zuvor waren es 115.
Das Forschungsinstitut SORA hat im Auftrag der AK eine Dauerbefragung von knapp 3000 Eltern und 4300 Kindern durchgeführt. Eltern notierten wöchentlich anfallende Kosten, die das Schuljahr verursacht hat. Fünf Spezialbefragungen kreisten um die Auswirkungen der Pandemie.
Eine Frage des Geldes
Wenn die Kinder und Jugendlichen in die Klassen zurückkehren, brauchen Eltern außerdem … Geld. Und zwar ziemlich viel. Das hat die AK in einer umfangreichen Schulkostenstudie untersucht.
3000 Eltern mit mehr als 4300 Kindern notierten ein Schuljahr lang penibel alle Ausgaben, vom Malkasten bis zum PC fürs Homeschooling. Und siehe da: Durchschnittlich gaben Familien 1468 Euro pro Schulkind aus. Zwar sind öffentliche Schulen in Österreich dem Gesetz nach kostenlos, aber die Realität sieht anders aus.
Isabelle Wallis mit drei Kindern aus Nenzing hat „immer schon alle Rechnungen in einer Mappe aufbewahrt“. 20 Euro hier, 10 Euro da, das leppert sich! Für die Harderin Bianca Haunschmied mit zwei Kindern fiel das Corona-Schuljahr nicht aus dem Rahmen: Zwar fielen Ski- und Wienwoche flach, „dafür mussten wir einen Laptop kaufen“ für den Unterricht daheim. Wie Homeschooling sich anfühlt, das hat Jessica Resch aus Lauterach noch sehr präsent. „Bei uns hat sich alles am Küchentisch abgespielt“, sagt die Mutter von zwei Kindern. Alle drei Frauen sind berufstätig und haben die schwierige Zeit doch gut hingebracht.
Eine Frage der Zeit
Wenn ihre Kinder und Jugendlichen zur Schule gehen, brauchen Eltern Zeit. Das vergangene von Corona geprägte Schuljahr hat Schüler:innen und Eltern an ihre Grenzen gebracht. Was ist nämlich, wenn die Schule pandemiebedingt doch schließen muss? Wer kümmert sich dann? Seit Juli gibt es keinen Rechtsanspruch auf Sonderbetreuungszeit mehr für Eltern, wenn es zu Schulschließungen oder Quarantäne kommt. Der Bedarf kann rasch hoch werden. Zwischen Mitte März 2020 und Ende Mai 2020 wurden fast 21.000 Personen freigestellt und 30.500 Kinder beaufsichtigt.
Die AK-Lernhilfe gewährt vor allem ganz individuelle Betreuung. Das erfahren Jugendliche nach den Zeiten des Distancelearnings als Wohltat. © AK Vorarlberg, Jürgen Gorbach
Unterstützung bleibt
Wenn sich die Klassen wieder füllen, werden manche Schüler:innen ganz schön zu knabbern haben. Gewiss, sie haben sich „unglaublich gefreut“, dass es wieder in die Klassen geht, erzählt Bianca Haunschmied. Für Landestatthalterin Schöbi-Fink bestätigt das den wohl größten schulischen Lerneffekt aus Corona: „Schule ist so viel mehr als Unterricht. Sie ist ein Ort des sozialen Lernens. Der Kontakt mit den Pädagog:innen ist durch nichts zu ersetzen.“ Aber was ist mit den Kindern und Jugendlichen, die in der Pandemie große Lücken angehäuft haben? Da verweist Schöbi-Fink auf die zwei Förderstunden pro Woche und Klasse, die der Bund weiterhin bezahlt. Und die Sommerschule, „die wir aus dem Boden gestampft haben“, die bleibt.
Lernhilfe der AK Vorarlberg
Auch die Lernhilfe auf Abruf, die AK und Student:innen der Pädagogischen Hochschule gemeinsam anbieten, wird es wiedergeben. Das nächste Mal erwarten Studierende wie Clara Plankensteiner oder Larissa Erhart Kinder und Jugendliche in den Semesterferien vom 14 bis 18. Februar. „Auch für den kommenden Sommer planen wir wieder ein Angebot“, bestätigt Projektleiterin Sarah Isele von der AK Vorarlberg.
Denn Covid 19 hat in den Schulen beträchtliche Spuren hinterlassen. Plankensteiner hat noch gut all die Fährnisse in Erinnerung, die das Distancelearning mit sich bringt: Von schlechten Verbindungen und knackenden Mikros bis hin zu Kindern, die das Kapitel Schule zum ersten Mal aufschlugen und Arbeitspakete für zuhause vorfanden statt Schulkameraden und Pausenhof.
Das möchte Max nicht. Er zählt schon die Stunden, bis er sich endlich mit der Schultasche auf den Weg machen darf.
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