Soziales
„Wenn du spürst, jetzt hast Du sie erreicht!“
Seit einem Jahr lässt sich die 43-jährige Hohenemserin Judith Peter über die Implacement-Stiftung der Connexia zur Fach-Sozialbetreuerin für Altenarbeit ausbilden.
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Die Gretchenfrage, „wie hältst Du’s mit der Pflege“ wirkt angesichts der demographischen Entwicklung und dem wachsenden Personalmangel in diesem Beruf schlicht unbeantwortbar.
Die Zahlen weisen in eine schwierige Zukunft: 2050 werden 143.000 Vorarlberger:innen 60 Jahre zählen oder älter sein. Das wäre dann jede:r Dritte, weist die Bevölkerungsprognose der Landesstelle für Statistik aus. Gleichzeitig werden wir schon bis 2030 erheblich mehr Pflege- und Betreuungspersonal brauchen. Die Pflegepersonalprognose des Landes beschreibt bis dahin ein „Loch“ von 2415 Pfleger:innen aus, das es zu stopfen gilt.
Prof. Dr. Heinrich Geissler will die Dramatik hinter diesen Zahlen nicht kleinreden. Aber er macht auf eine andere Facette des Themas aufmerksam, die in seinen Augen viel zu kurz kommt. Dabei bezieht sich der Sozialwissenschaftler, der für die AK Vorarlberg schon dreimal die Studie „Zfrieda schaffa im Krankahus“ durchgeführt hat, auf eine Studie in Finnland, die seinerzeit Furore gemacht hat. „Der Pflegebedarf der Zukunft wird jetzt in den Betrieben erzeugt“, sagt er.
Die einzige Längsschnitt-Untersuchung dieser Größenordnung wurde in Finnland durchgeführt. Sie hat 45- bis 57-Jährige über 28 Jahre lang begleitet. „Die zwischen 1981 und 2009 ermittelten Werte ergaben, dass nur Menschen mit einer sehr guten Arbeitsbewältigungskonstellation später in der Pension ein ganz normales Risiko hatten, fremde Hilfe für die Haushaltsführung zu brauchen.“ Bei den anderen war dieses deutlich höher. Geissler: „Aufgrund des demographischen Wandels wird es auch in Vorarlberg entscheidend sein, wie viele Menschen 65 plus und insbesondere 80 plus zu einer selbstständigen Haushaltsführung fähig sind.“ Dazu zählen tägliche Aktivitäten wie Einkaufen, Bankgeschäfte, Kochen, Waschen, Freunde besuchen, spazieren gehen usw. Je schlechter die Arbeitsbewältigungsfähigkeit, desto höher das Risiko, ein Pflegefall zu werden.
Zum Ende dieser Studie waren die Probanden dann zwischen 73 und 85 alt. Um sicher nur die Effekte des Arbeitslebens zu berücksichtigen, blieben folgende Faktoren in der Risikobewertung unberücksichtigt: Alter, Beziehungsstatus, Rauchen, Alkohol, sportliche Aktivitäten und die drei wesentlichen Grunderkrankungen des Alters wie Muskel/Skelett, Herzkreislauf und Erkrankungen der Atemwege. „All das spielte in der Bewertung keine Rolle.“ Unterm Strich zählte das pure Arbeitsumfeld.
Wie muss man sich so einen Check vorstellen? „Im Grund ist das ein Coaching-Gespräch, in dessen Verlauf Themen wie Gesundheit, Arbeitsbedingungen, Qualifikation, Betriebsklima, Kommunikation und die Führung anschaut. Fragen werden besprochen: Was wünschen sich die Menschen vom Unternehmen? Und was könnte ihre eigener Beitrag sein?“ Denn Arbeitsbewältigung ist keine Einbahnstraße: „Wenn einer sagt, wir haben keine persönliche Schutzausrüstung, frag ich zurück: Aber würdest Du sie auch tragen? Ein anderer moniert: Ich kriege nicht alle Informationen. Meine Gegenfrage lautet: Gibst Du alle Infos, die Du weitergeben musst, auch weiter?“
Nicht immer ist eine angesagte Veränderung auch möglich. Geissler hat die Arbeitsmedizinerin eines großen Stahlbetriebs vor Augen, „die draufgekommen ist, dass ein Mitarbeiter zur Nachtschicht unfähig ist“. Der aber war auf das Geld angewiesen. „Ich muss mein Haus abzahlen!“, reagierte er entsetzt. Er konnte in der Nachtschicht bleiben, „die Arbeitsmedizinerin hat ihn aber nun im Auge“. In kürzeren Abständen schaut sie vorbei, bevor der Mann langzeiterkrankt.
Im Grunde hält Heinrich Geissler ein Plädoyer gegen die Selbstausbeutung, aber er nimmt auch die Firmen in die Pflicht: Noch einmal blickt er gen Norden: "Die Finnen haben ein Gesetz zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit." Das bedeutet, dass die Betriebe drauf schauen müssen, dass die Arbeitsfähigkeit ihrer Belegschaft erhalten bleibt. Und die Versicherungen schauen drauf, dass die Betriebe drauf schauen. "Wenn nun ein Mitarbeiter wegen der Arbeitsbedingungen zehn Jahre vor der Pension frühpensioniert wird, und die Arbeitsbedingungen zuvor schon angemahnt wurden, dann muss das Unternehmen als Strafe für zehn Jahre die Pension an die Sozialversicherung überweisen. Das motiviert ungemein."
Soziales
AK und Landeskrankenhäuser baten Menschen aus unterschiedlichsten Gesundheitsberufen darum, gemeinsam über die Zukunft der Pflege nachzudenken. Sie legten sich einen Tag lang mächtig ins Zeug, denn sie sind allesamt stolz auf ihren Beruf und wollen sich das durch Personalmangel und Überlastungen nicht nehmen lassen.
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