9.7.2025
Bildung

Werner Gruber: Wenn Physiker nach dem Warum fragen, haben sie verloren

Begegnung,Bildung,Gesellschaft,Kultur,Wissen,Wissen fürs Leben

Kommt uns unser konsistentes Weltbild abhanden, tun wir Menschen die sonderbarsten Dinge. Denn wir brauchen Sicherheit. Selbst unser Gehirn ist erpicht auf Altvertrautes.

Wer Werner Gruber einlädt, kriegt jedenfalls immer auch Kabarett. Er kann nicht anders. Der Erfinder der „Science Busters“ ist zwar Physiker. Aber seine Art, Dinge zu veranschaulichen, würde auch die verschlafensten Schüler:innen im Nu aus ihren Träumen wecken.

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Die Salzburger Disputationes werden jedes Jahr mit viel Gespür von der gebürtigen Feldkircherin Dr. Claudia Schmidt-Hahn in Szene gesetzt. Frauen und Männer aus Wissenschaft und Kultur haben sich im Rahmen der Salzburger Festspiele 2025 dem Schicksal gewidmet. Mag. Werber Gruber (55) lehrt seit dem Sommersemester 2024 an der Fakultät für Informatik der Universität Wien.

In diesem Blog:

  1. Geburt eines Geschäftsmodells
  2. Wenn der sichere Boden schwankt
  3. Weltbild Marke Eigenbau
  4. Zur Person Werner Gruber


Was er von Astrologie hält, erklärt Gruber – wie so vieles – mit einer Geschichte. Also: in Byzanz gab es vor tausenden Jahren eine Art Startup-Unternehmen. „Drei junge Buben gingen zum König und erklärten ihm: Wir können aus den Sternen die Zukunft vorhersagen.“ Also zum Beispiel, ob der geplante Krieg erfolgreich verlaufen wird, wie sich die Beziehung zu Ehefrau N. 17 entwickeln wird usw. Lauter nützliche Dinge. Dafür forderten sie das Übliche: Gold, Sklaven, Land…

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Geburt eines Geschäftsmodells 

Der König zögerte. Dann bot er ihnen folgenden Deal an: Ihr arbeitet eine Zeitlang für mich, dann wollen wir uns die Bilanz anschauen. Das taten sie auch. Nach zehn Jahren wies die königliche Statistik aber nur wenige Treffer aus. Der König setzte die Drei an die Luft.  Die Burschen aber bilanzierten diese zehn Jahre weit zufriedenstellender. Schließlich hatten sie recht gut verdient. Also gingen sie hinunter in den Suq, wie der Markt auf Aramäisch hieß, hin zu den einfachen Menschen und machten dort weiter. Die Sterndeuterei erwies sich als einträgliches Geschäft. „Das ist sie heute noch.“

Es gibt keine Studie, die Gruber zufolge die Astrologie etwa mit Krankheiten oder Schicksalsschlägen sinnfällig in Verbindung bringt. Er kennt nur Studien über den Zusammenhang von Wochentagen und Herzinfarkten. Die gibt es wirklich und die meisten Herzinfarkte ereignen sich demzufolge am Montag bis zur Mittagszeit, dann sinkt das Herzinfarktrisiko für den Rest der Woche um 50 Prozent…

Warum glauben Menschen so innig an die Macht der Sterne, und auch an Dinge, die gar nicht da sind? Wissenschaftler halten sich da zurück. Von Galileo Galilei hat Gruber gelernt, dass Physiker immer nur nach dem „Wie“ fragen. In dem Augenblick, da sie dem „Warum“ nachspüren, "haben sie schon verloren".

Wenn der sichere Boden schwankt

Menschen brauchen vor allem eines: Ein konsistentes Weltbild, also eine Welt ohne Widersprüche. „Wir brauchen Vorhersehbarkeit.“ Kommt ihnen die abhanden, benehmen sich Menschen sonderbar. Die Corona-Pandemie lieferte mit den Panikkäufen von Toilettenpapier ein beredtes Beispiel.

Die Physiker meiden das Wort vom Schicksal. Sie sprechen von Zufall, wenn die Konsistenz sich rar macht. Wenn etwa 40 Attentate auf Adolf Hitler scheiterten, hatte Gruber zufolge keineswegs das Schicksal die Finger im Spiel. Dass Neil Armstrong als erster Mensch den Mond betrat, gehorchte keinem göttlichen Plan, es war pures Glück: So viele wären vor ihm dran gewesen. Edward Wight war geplant, aber er starb. Ein anderer Astronaut erlag einem Autounfall. Apollo-8-Kommandant Frank Borman wäre nun an der Reihe gewesen. Aber nach seinem ersten Ausflug ins Weltall hatte er seiner Frau versprochen, nie wieder in den Weltraum zu fliegen. Er hielt sich daran. So kam letztendlich Neil Armstrong zum Zug. 

Weltbild Marke Eigenbau 

Wie sichert der Mensch sich ab? Er zimmert sich sein eigenes Weltbild. Das tut er leider nicht auf Basis valider Fakten, denn Menschen sind keine Statistiker. „Wir überschätzen zum Beispiel Gefahren.“ Selbst in der wildesten Zeit am Wiener Praterstern, wo das Planetarium steht, das Gruber jahrelang leitete, passierte in Wahrheit dann und wann etwas, aber nicht unentwegt. „Unsere Wahrnehmung spielt uns da Streiche“, sagt Gruber und führt ein besonders drastisches Problem ins Feld. 

„Wir haben in Österreich 600.000 unerkannte Diabetiker.“ Jetzt gäbe es eine Handy-App, die helfen könnte. Sie ins Deutsche zu übersetzen, kostete rund 250.000 Euro. „Aber wir nehmen gewisse Dinge einfach nicht wahr.“ Stattdessen leben wir in einer Zeit, in der viele Menschen glauben, dass sie von großen Problemen umgeben sind, Stichwort: Amokläufe etc. „Dabei wissen wir Studien zufolge, dass nur drei Prozent der Bevölkerung Psychopaten sind.“ 
 
Der sogenannten Gauß-Kurve folgend leben die allermeisten Menschen nicht in Extremen. „Wir leben stattdessen in einem Land der freien Meinungsäußerung, werden nicht bedroht, haben zu essen.“ Das dürfte man sich ruhig öfter vor Augen führen.

Zur Person Werner Gruber

Mag. Werner Gruber (55) ist Physiker, Autor, Dozent und Mitbegründer der „Science Busters“. Im Alter von 17 Jahren erhielt er den „Ersten Österreichischen Jugendforschungspreis“ für die Schaffung eines dreidimensionalen Bildschirmes, dem viele weitere Auszeichnungen folgten. 1999 schloss er sein Studium der Physik an der Universität Wien mit Auszeichnung ab. Anschließend war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Experimentalphysik der Universität Wien tätig. Von 2013 bis 2022 war Gruber Direktor der astronomischen Einrichtungen Wiens, des Wiener Planetariums, der Kuffner- und der Uraniasternwarte. Derzeit lehrt er Physik an der Medizinischen Fakultät der Sigmund Freud Privatuniversität in Wien und an der Fakultät für Informatik an der Universität Wien. Spätestens nach dem Wissenschaftskabarett "Science Busters" ist Gruber vermutlich der bekannteste Physiker Österreichs. 


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