Für Tanja Kovar zählt vor allem, dass Lehrlinge gut und in Augenhöhe behandelt werden. „Ich steh über Dir und gebe Dir vor, das funktioniert heutzutage nicht mehr so wie früher.“
Für Tanja Kovar zählt vor allem, dass Lehrlinge gut und in Augenhöhe behandelt werden. „Ich steh über Dir und gebe Dir vor, das funktioniert heutzutage nicht mehr so wie früher.“ © Thomas Matt, AK Vorarlberg
11.2.2025
Arbeit

Seid für die Jugendlichen da, auch, wenn es nicht rund läuft!

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Tanja Kovar (36) steht im Ausbildungszentrum Vorarlberg (AZV) jungen Menschen zur Seite, die auf Anhieb keine Lehrstelle gefunden haben. Das kann viele Gründe haben. Im AZV finden sie Zeit und Beziehung. Das hilft enorm.

In diesem Interview

  1. Wie wurdest Du Sozialpädagogin?
  2. Was motiviert Dich tagtäglich?
  3. Wenn sich Lehrlinge nach Jahren wieder melden
  4. Düstere Aussichten für die Jugend?
  5. Ganz gängige Vorurteile
  6. Wenn die Psyche nicht mitspielt
  7. Wo gibt es Hilfe?
  8. Erzähl uns von Deinen Methoden und Strategien
  9. Kontakt zu Betrieben und Eltern 
  10. Vorarlberger Initiativen
  11. Wenn einem der berühmte Knopf aufgeht
  12. Peergroups und Netzwerke
  13. Dein Wunsch an die Lehrausbildung
  14. Und Dein Appell?

Kannst Du uns ein wenig über Deinen eigenen beruflichen Werdegang erzählen? Wie bist Du zur Sozialpädagogik gekommen?

Tanja Kovar: Ursprünglich habe ich eine Kochlehre abgeschlossen. Aber in dem Beruf sind die Arbeitszeiten ziemlich schlecht. Du musst am Abend lange arbeiten und an den Feiertagen, wenn andere frei haben. Du kommst an Weihnachten heim und Deine Familie geht gerade zu Bett, wenn Du mit Arbeit fertig bist. Und sie bezahlen kein attraktives Gehalt. Der ruppige Ton, inklusive Anschreien in der Lehre, all das war ausschlaggebend, dass ich das freiwillige soziale Jahr in der Aquamühle und dann das Kolleg für Sozialpädagogik in Stams gemacht habe. 

Was hat Dich dazu bewogen, gerade mit Lehrlingen zu arbeiten? Was motiviert Dich in Deiner täglichen Arbeit?

Tanja Kovar: Ich hab schon in der Jugendarbeit in Feldkirch gemerkt, dass ich gerne mit Jugendlichen arbeite. Sie haben noch eine gewisse Leichtigkeit, haben noch gerne Spaß und sind doch schon halb erwachsen. Was mich täglich motiviert? Wenn ich mitkriege, wie manche vom ersten ins dritte Lehrjahr einen Sprung machen. Wenn ich sehe, dass es funktioniert hat, wie gewünscht, das motiviert mich.

Gab es in Deinem Berufsleben besondere Erlebnisse oder Begegnungen mit Jugendlichen, die Dich nachhaltig beeindruckt haben?

Tanja Kovar: Mich freut es, wenn Jugendliche, die bei uns waren, wieder auf Besuch kommen. Das zeigt mir, dass wir einen Raum geboten haben, in dem sie sich wohlgefühlt haben. Oder als ein Lehrling uns geschrieben hat: Ich bin jetzt bei der Rettung dabei, seid Ihr stolz auf mich? 

Wenn die die Jungen wirklich gar keine Ausbildung mehr wollen, dann müssten unsere Lehrwerkstätten eigentlich alle leer sein. Sind sie aber nicht.
Wenn die die Jungen wirklich gar keine Ausbildung mehr wollen, dann müssten unsere Lehrwerkstätten eigentlich alle leer sein. Sind sie aber nicht. © Thomas Matt, AK Vorarlberg

Laut AMS Vorarlberg ist die Jugendarbeitslosigkeit im letzten Jahr um 17,5 Prozent gestiegen. Wie nimmst Du diese Entwicklung wahr, und welche Auswirkungen hat sie auf Deine Arbeit? 

Tanja Kovar: Bei uns gehen die Zahlen nach oben. Aber wenn es wirtschaftlich schlechter läuft, kommen die jungen Leute eben eher zu uns. Dann, wenn die Wirtschaft eher Angst hat, junge Leute einzustellen. 

Oft hört man das Vorurteil, dass Jugendliche heutzutage nicht mehr arbeiten wollen. Welche Erfahrungen machst Du in Deiner Arbeit mit diesem Thema? Wie begegnest Du solchen Vorurteilen? 

Tanja Kovar: Das verstehe ich zum Teil. Meine Generation hat noch verinnerlicht, dass das „Schaffa, schaffa“ wichtig ist. Aber wenn man sich das heute anschaut, dann ist der zweite Teil des Spruchs, das Versprechen „Hüsle baua“, nicht mehr möglich. Man muss sich schon fragen, was die Jungen motivieren soll. Andererseits: Wenn die die Jungen wirklich gar keine Ausbildung mehr wollen, dann müssten unsere Lehrwerkstätten eigentlich alle leer sein. Sind sie aber nicht.


AZV

Das AZV Ausbildungszentrum Vorarlberg organisiert klassische duale Lehrausbildungen. Hier werden die Lehrlinge auch sozialpädagogisch begleitet.

Viele junge Menschen stehen vor psychischen und sozialen Herausforderungen. Welche Probleme begegnen Dir in der Arbeit mit Lehrlingen am häufigsten?

Tanja Kovar: Psychische Themen, vor allem Depressionen. Ich könnte mir gut vorstellen, dass es bei manchen gar nicht diagnostiziert wurde. Aber meistens haben die Betroffenen schon von Kindesbeinen an Probleme. Aufstehen, hierherkommen, den täglichen Ablauf bewältigen, das ist nicht für alle gleich einfach. Manche sind eben schwächer und tun sich schwer. 

Welche Unterstützungsangebote gibt es für Lehrlinge, die mit solchen Belastungen zu kämpfen haben?

Tanja Kovar: Schon vorab gibt es eine Anamnese am Beginn der Ausbildung. Wir bieten wir bei Bedarf Nachhilfe und Unterstützung an und vor allem Gespräche. Die dienen manchmal auch dazu, die Lehrlinge zu motivieren, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Da sind wir auch gerne beim Erstgespräch dabei, wenn sie das möchten.

Während die Zahl der 15-Jährigen zwischen 2013 und 2023 um 1,4 Prozent abnahm, ist die Zahl der Lehrlinge im ersten Lehrjahr im selben Zeitraum um 4,2 Prozent gesunken. In absoluten Zahlen bedeutet das, dass es im Jahr 2023 in Österreich 12.313 Lehrlinge weniger gab als zehn Jahre zuvor. 
Während die Zahl der 15-Jährigen zwischen 2013 und 2023 um 1,4 Prozent abnahm, ist die Zahl der Lehrlinge im ersten Lehrjahr im selben Zeitraum um 4,2 Prozent gesunken. In absoluten Zahlen bedeutet das, dass es im Jahr 2023 in Österreich 12.313 Lehrlinge weniger gab als zehn Jahre zuvor.  © Bericht zur Situation der Jugendbeschäftigung und Lehrlingsausbildung in Österreich 2022-2023, BMWA


Welche Methoden und Strategien setzt Du ein, um Lehrlinge zu motivieren und ihnen zu helfen, ihre Ausbildung erfolgreich abzuschließen?

Tanja Kovar: In erster Linie Gespräche und Beziehung. Nicht jede Firma hat dementsprechend Ressourcen. Diese Komponente steht nicht an erster Stelle. Aber der oder die Jugendliche muss sich in erster Linie einmal angenommen fühlen, und darf nicht zuerst runtergedeckelt werden. Die wichtigen Fragen lauten: Wo können wir Dich unterstützen? Oder wenn er oder sie krank war: Was war denn los? 

Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit Betrieben und Eltern, um eine erfolgreiche Lehrlingsausbildung zu gewährleisten? 

Tanja Kovar: Sehr wichtig. Wir holen beide herein, auch die Schule. Ansonsten können Eltern nicht intervenieren. Wir pflegen einen guten Austausch, und unsere Partner sind auch dankbar dafür.


Lehre in Vorarlberg

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Gibt es besondere Programme oder Initiativen in Vorarlberg, die Du als besonders erfolgreich in der Lehrlingsunterstützung betrachtest?

Tanja Kovar: Bei verlängerter Lehre kommt, wenn die Berufsschulklasse nicht geklappt hat, die Berufsausbildungsassistenz in Frage. Sie unterstützt und kann bei Schulen sogar ein vierteljährliches Zeugnis abrufen. Wir haben beim AZV mittlerweile auch eine Betriebspsychologin im Team.

Gibt es eine besonders inspirierende oder ermutigende Geschichte eines Lehrlings, die Du mit uns teilen kannst? 



Tanja Kovar: Einen Lehrling habe ich vor Augen, der im ersten Lehrjahr ziemlich oft zu spät kam. Das war ein riesiges Thema, es gab viele Gespräche, Warnungen wurden ausgesprochen. Er war zwar nett, aber einfach nicht auf der Höhe. Im dritten Lehrjahr hat er sich auf einmal zu einem super Mitarbeiter gemausert und die Lehre in der Metallbearbeitung sogar mit gutem Erfolg abgeschlossen. 



Wie wichtig sind soziale Netzwerke und Peergroups für den Erfolg einer Lehre?

Tanja Kovar: Peergroups sind ganz wichtig. Wenn einer nur Kollegen hat, die auch nicht berufstätig sind, muss er schon eine sehr starke Persönlichkeit sein, wenn er zu einer Lehre greift. 

Wie siehst Du die Zukunft der Lehrlingsausbildung in Vorarlberg? Gibt es Dinge, die Du Dir dringend wünschen würdest?

Tanja Kovar: In erster Linie, dass Lehrlinge gut und in Augenhöhe behandelt werden. Ich steh über Dir und gebe Dir vor, das funktioniert heutzutage nicht mehr so wie früher. Man sollte sie die Jugendlichen Entscheidungen mittreffen lassen. Sie sollen ja später selbstständige Fachkräfte werden, also sollte man ihnen auch etwas zutrauen und ihnen Verantwortung übergeben.



Welchen Appell möchtest Du an Jugendliche, Eltern, Betriebe und die Gesellschaft richten, um die Lehrlingsausbildung in Vorarlberg zu stärken?

Tanja Kovar: Seid für die Jugendlichen da, auch, wenn einmal etwas nicht rund läuft, verliert den Glauben nicht an sie!

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