03.07.2024
Arbeit
Letzte Hoffnung Wahlzuckerl: Sieht so wirklich Österreichs Arbeitsmarktpolitik aus?
AMS,Arbeit,Arbeitslosigkeit,Interessenvertretung,Sozialstaat
Flaue Wirtschaftsprognosen und steigende Arbeitslosenzahlen lassen die Entscheidung der Regierung, dem Arbeitsmarktservice (AMS) 2025 knapp 100 Millionen Euro wegzunehmen, wie einen schlechten Scherz erscheinen. „Sollte die Regierung darauf beharren“, kündigt AK Präsident Bernhard Heinzle an, „dann werden wir in keinem einzigen Bundesland den AMS Budgets zustimmen.“
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9153 Frauen und Männer suchen derzeit in Vorarlberg nach Arbeit. Ihre Zahl wuchs in einem Jahr um 9,6 Prozent. Beim AMS sind derzeit 4831 offene Stellen gemeldet. Doch 3233 davon verlangen eine abgeschlossene Lehre oder höhere Ausbildung. Dabei haben 48 Prozent der Arbeitslosen im günstigsten Fall nur die Pflichtschule absolviert, wenn überhaupt. Mitten hinein in diese prekäre Gemengelage platzt die Nachricht, dass die Bundesregierung das AMS-Budget für 2025 um fast 100 Millionen Euro kürzen will.
Mehr Geld statt weniger wäre nötig
Vorarlberger Arbeitsmarktdaten Juni 2024 © Vorarlberg, AMS
AMS-Geschäftsführer Bernhard Bereuter:Durch die ersten Sparpläne hätten wir bundesweit sogar 200 Millionen Euro eingebüßt. © Vorarlberg, AMS
Für das AMS Vorarlberg beziffert Geschäftsführer Bernhard Bereuter den zu erwartenden Verlust mit „1,8 Millionen Euro“. Das entspricht 4,2 Prozent vom Budget von 2024. „Wollten wir unser derzeitiges Aktivitätsniveau auch 2025 aufrecht erhalten, bräuchten wir aber in Wahrheit mehr Geld, nämlich 45,2 Millionen Euro.“ Erst wenn Bereuter die Teuerung mit etwa 5 Prozent einrechnet, wird sichtbar, was eine Kürzung der Budgetmittel bedeuten würde. Doch wie kommt man überhaupt auf eine solche Idee?
Veraltete Annahmen
"Weil man vom längerfristigen Plan ausgeht", sagt Bereuter. Und das bedeutet von besseren Werten. Zwar wird mit jeder Quartalsprognose die vorherige nach unten revidiert, aber das focht die Ministerialbeamten nicht an. "Das erste Szenario fußte auf einer sich erholenden Wirtschaft und war noch deutlich schlimmer", erinnert sich Bereuter. Danach hätte das AMS in Vorarlberg rund 11 Prozent seines finanziellen Spielraums verloren, bundesweit umfassten erste Sparpläne 200 Millionen Euro.
Nun versucht das AMS die angedrohten Kürzungen für 2025 so einzuplanen, dass nicht jene leiden müssen, die das Geld am nötigsten bräuchten. "Wir haben uns bereits mit den Sozialpartnern darauf geeinigt, bei den sozialöökonomischen Betrieben keine Kürzungen vorzunehmen", bestätigt Bereuter. Diese Betriebe kümmern sich um schwer vermittelbare Personen, die am ersten Arbeitsmarkt kaum Fuß fassen. Ihre Arbeit ist unverzichtbar. "Auch bei Jugendangeboten wollen wir keine Kürzungen vornehmen und auch nicht bei den Ausbildungen für Personen, die maximal Pflichtschulabschluss haben." Immerhin machen sie die größte Gruppe der Arbeitssuchenden in Vorarlberg aus.
Und wo will Bereuter dann die geforderten 1,8 Millionen Euro hereinholen? "Bei anderen Angeboten wie der Berufsorientierung z. B. oder bei den Bewerbungstrainings, dort werden wir einsparen müssen." Natürlich hätte das auch Auswirkungen auf deren Personalstand. Das AMS selbst wird voraussichtlich "zwei bis drei Stellen nicht mehr nachbesetzen" dürfen. Das wiederum erhöht den Betreuungsschlüssel. Der liegt in Vorarlberg derzeit bei 1 zu 250 bis 300, was bedeutet, dass ein:e Berater:in 250 bis 300 Arbeitssuchende betreut. 1 : 150 wäre sinnvoll, das belegen auch Studien. Aber das Ministerium arbeitet hartnäckig in die andere Richtung.
AK Präsident Bernhard Heinzle: Wir werden unsere Unterschriften nicht unter solche irrwitzigen Sparpläne setzen. © Lucas Hämmerle, AK Vorarlberg
Hoffen auf ein Wahlzuckerl
Bereuter und seinen Kolleg:innen in den anderen Bundesländern bleibt nichts weiter übrig, als noch auf ein spätes Wahlzuckerl vor den Nationlratswahlen im Herbst zu hoffen. "Aber so kann doch um Himmels willen nicht Österreichs Arbeitsmarktpolitik aussehen", entrüstet sich AK Präsident Bernhard Heinzle. Tatsächlich habe das Ministerium dem AMS in den vergangenen Jahren Zielvorgaben gemacht, die es mit seinem Regelbudget gar nicht erfüllen konnte. Also musste das AMS sukzessive alle Rücklagen auflösen. Mit anderen Worten: Arbeitsminister Martin Kocher hat das AMS gezwungen, das Geld, mit dem es Akzente setzen müsste, auszugeben. Eine Politik dieser Art "wollen und können wir nicht länger hinehmen", betont Heinzle. "Die Vertreter:innen der AK haben in allen Kurien signalisiert: Es reicht! Wir können nicht in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation Stellen beim AMS abbauen und die Mittel reduzieren. So kann man keine Arbeitsmarktpolitik machen." Dadurch werden Projekte gefährdet und Strukturenabgebaut, die man nicht über Nacht wieder aufbauen kann. Bernhard Heinzle wird deutlich: "Wir werden unsere Unterschriften nicht unter solche irrwitzigen Sparpläne setzen."
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