Eine Frau, Natascha Strobl, sitzt an einem Tisch und spricht.
Die AK Vorarlberg traf Natascha Strobl zum Interview in der Stadtbibliothek Dornbirn. © AK Vorarlberg
17.02.2024
Arbeit

„Ist unser Leben wirklich der Höhepunkt der Zivilisation?“

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Klima, Demokratie, Teuerung: Aktuell scheint sich eine Krise an die andere zu reihen – und das schon seit Jahren. Demagogen nutzen die Spannungen und sind im Aufwind. Doch wie soll man dieser Entwicklung entgegentreten? Ideen dazu liefert Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl  in ihrem Buch „Solidarität“ und im Interview.

In diesem Beitrag:

Ihr neues Buch „Solidarität“ beschäftigt sich mit den vielgestaltigen Krisen unserer Zeit. Welche Gefahr geht von diesen Krisen aus für die Solidarität in unserer Gesellschaft?

Natascha Strobl: Wir erleben aktuell verschiedene Krisen. Die Klimakrise und soziale Krisen einerseits. Daneben haben wir auch eine Krise der Demokratie und eine Krise des Vertrauens. Autoritäre Kräfte bieten für diese Krisen vermeintliche Lösungen, die sagen: Wenn diese und jene Menschen nicht hier in unserem Land wären, dann wäre alles gut. Aber das sind menschenverachtende Lösungen und sie nutzen die Sprache der Dämonisierung. Das ist eine ganz große Gefahr für die demokratische Gesellschaft an sich.


Ist die Demokratie in Gefahr?

In vielen Demokratien sind aktuell solche Radikalisierungstendenzen zu beobachten. Woran liegt das? Und wird das ein Dauerzustand?

Natascha Strobl: Menschen sind grundsätzlich soziale Wesen. Wir haben immer den Drang, anderen zu helfen. Jemanden nicht einfach liegen zu lassen. Das ist in uns Menschen drin: ein solidarisches Verhalten. Es wird uns aber bewusst abtrainiert. Wir leben in einem System, in dem wir permanent gegeneinander gestellt werden. Wo wir schon im Kindergarten beginnen, in Konkurrenz zu denken, die Ellenbogen auszufahren und schon die Vorarbeit für den späteren Aufstieg ins Gymnasium zu leisten. Und das wird nur schlimmer im Erwachsenenleben. Das führt zu dieser Radikalisierungen nach rechts, die unserem eigentlichen Zusammenleben als Menschen entgegenstehen. Übrigens ist es ist eine asymmetrische Radikalisierung: Die Gesellschaft bewegt sich nicht auf zwei Pole hin, nach links und rechts. Sondern lediglich nach rechts.

Das Ende von Leben nach Schema F?

Sie plädieren für einen neuen Weg, diesem Rechtsruck zu begegnen: nämlich mit echter Solidarität und Antikapitalismus. Dabei müsse sich die Art, wie wir leben, produzieren und wirtschaften grundlegend ändern. Wie genau muss man sich das vorstellen?

Eine Frau steht mit anderen Fahrgästen in einem Bus.
Pendeln, Arbeit, Pendeln, Schlafen, Pendeln, Arbeit... ist das noch unsere Zukunft? © Joao Jesus, Pexels

Natascha Strobl: Wir müssen den Krisen auf eine neue Art begegnen: solidarisch, gemeinsam. Es ist ja gar nicht so schwarz und weiß, wie man glaubt. Es gibt eigentlich einen ganz großen Konsens in vielen Fragen. Menschen wollen nicht, dass es anderen Menschen schlecht geht. Um das zu erreichen, müssen wir uns und unser Verhalten ändern. Dieses Ändern ist aber leider sehr negativ behaftet und wird immer gleich mit Wohlstandsverlust und Verzicht gleichgesetzt. Die Menschen fürchten, dass es ihnen schlechter gehen und dass alles ganz furchtbar werden wird. Die Wahrheit ist: Es wird anders werden, ja. Aber wir müssen uns auch fragen: Ist es wirklich der Höhepunkt der menschlichen Zivilisation, dass wir in der Früh aufstehen, in ein Auto steigen, 40 Minuten in die Arbeit fahren, acht Stunden in einem Büro sitzen, 40 Minuten zurückfahren und dann, wenn's hochkommt, noch zweieinhalb Stunden mit der Familie verbringen können? Oder kann man das vielleicht auch komplett neu denken? Vielleicht wird es anders, aber es muss nicht schlechter werden, sondern es kann sogar in Bereichen besser werden. Und ich glaube, das müssen wir ausdiskutieren. Auch dieses Verhältnis von Arbeit und Familie, Arbeit und Freizeit. Und dann, ja dann verläuft unser Leben vielleicht nicht mehr nach diesem Schema F.

Die soziale Schere klafft seit Jahren immer stärker auseinander. Die Vorstandsvorsitzenden der großen, börsennotierten Unternehmen in Österreich, die sogenannten „fat cats“ verdienen das 75-Fache der einfachen Angestellten. Würde das Modell der Solidarität auch an dieser Stelle mehr Fairness schaffen?

Natascha Strobl: Wenn wir über Verteilung reden, reden wir  nicht nur über die ökonomische Verteilung von Vermögen und Einkommen. Wir reden auch über die Verteilung von Energie, von psychischer Belastbarkeit und von unbezahlter Arbeit. Wenn wir das als Gesamtes betrachten, dann werden wir sehen, wie ungerecht die Verteilung und wie absurd das System ist. Außerdem sehen wir dann, wie alles  nur auf den Rücken von Frauen lastet. Man möchte Frauen nicht einstellen. Wenn man sie doch einstellt, dann möchte man sie nicht in wichtige Positionen befördern, denn wenn sie Kinder bekommen, reißt das ein Loch in die Unternehmensstruktur. Deswegen klaffen irgendwann die Einkommen auseinander. Kommt dann wirklich ein Kind, muss sie drei Jahre zu Hause bleiben, weil der Mann ja inzwischen Karriere gemacht hat und gut verdient. Und so wird es immer perpetuiert, da hängt ein ganzer Rattenschwanz dran. Das heißt, wenn wir unsere Wirtschafts- und unsere Lebensweise ändern, ist hier eine große Chance, mehr Gerechtigkeit zu schaffen. Und darüber hinaus, jungen Eltern mehr Zeit mit ihren Kindern zu ermöglichen. 

25 Prozent weniger Gehalt für Frauen – was läuft da falsch?

Frauen verdienen in Österreich aber immer noch eklatant weniger als Männer - 16,9 Prozent. In Vorarlberg ist er Gender Pay Gap am größten, er beträgt 24,7 Prozent. Frauen verdienen hierzulande also ein Viertel weniger als Männer. Dass das nicht gerecht ist, steht außer Frage. Was läuft da falsch und wie kann dieser Gender Pay Gap endlich überwunden werden? 

Eine Frau steht auf einer Stufe unterhalb eines Mannes und schaut zu ihm auf.
Gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit? Für die meisten Frauen in Österreich ist das noch immer Utopie. © Lerbank-bbk22, Adobe Stock

Natascha Strobl: Unser ganzes System, unsere ganze Idee davon, wie Wohlstand angehäuft wird, was ein gutes Leben ist, das entspricht noch immer den 1950er Jahren: die berühmte Mutter-Vater-Kind-Einfamilienhaus-Romantik. Das ist ja auch schön, das sei ja jedem*r gegönnt. Aber das ist eben nur möglich, wenn eine Person viel gratis arbeitet, und zwar im Haushalt. Und das sind nun einmal Frauen. Das kann aber nicht das Modell für die Zukunft sein. Heutzutage erwartet man von Frauen, dass sie auch Karriere machen, so wie die Männer bisher. Das ist ja ganz richtig. Aber nur sie sollen zusätzlich noch die Kinder und den Haushalt und später auch die zu pflegenden Eltern schupfen. Studien zeigen, dass selbst Frauen, die mehr verdienen als ihre Männer, mehr im Haushalt arbeiten. Das wird sich ändern müssen. Und es wird sich bestimmt auch etwas an der Gesamtarbeitszeit, an der 40-Stunden-Woche ändern müssen. Davor dürfen wir keine Angst haben, sondern wir müssen das gesellschaftlich und demokratisch ausdiskutieren und ausverhandeln. Klar, da wird es Reibungen geben, keine Frage. Aber es droht nicht die Apokalypse, nur weil wir unser Leben ändern. Wenn wir eine solidarische Gesellschaft sein wollen, dann hat das nicht nur damit zu tun, dass wir individuell bessere Menschen sein sollen. Sondern miteinander.

Natascha Strobl ist Politikwissenschaftlerin und Expertin für Rechtsextremismus. In in ihrem Buch „Solidarität“ (Verlag Kremayr & Scheriau) plädiert sie für einen neuen Weg, den Krisen unserer Zeit zu begegnen: nämlich gemeinsam und antikapitalistisch. Mit echter Solidarität ist – einem kollektiven Wert, der individuelle Befindlichkeiten überwindet.

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