Das Hospiz am Bodensee
Im Hospiz am See verbringen jährlich rund 130 Gäste ihre letzten Tage und Wochen. © AK Vorarlberg, Thomas Matt
10. Dezember 2021
Soziales

Was wirklich zählt: Ort der Ruhe in einer verrückten Welt

Pflege,Portrait

Das Hospiz am See liegt idyllisch. Die Patient:innen heißen hier Gäste. Es ist ihre letzte Station. Wer wissen will, was wirklich wichtig ist, findet hier Antworten: Ein gutes Essen, gemeinsam verbrachte Zeit, der Baum vor dem Fenster. Mehr nicht? Mehr nicht.  

Inhaltsverzeichnis

Die Hospiz Vorarlberg betreut mit ihren sechs Teams jährlich rund 1500 Personen. „Im Hospiz am See empfangen wir rund 130 Gäste im Jahr.“ Karl Bitschnau (60) leitet die Organisation und das Haus. Am schwierigsten war für ihn der Moment, „als wir zu Beginn der Pandemie die ehrenamtliche Arbeit für Wochen unterbrechen mussten“. Das Schlimmste daran war, „dass wir die Hilfe nicht dorthin bringen konnten, wo sie am dringendsten benötigt wurde.“ Seither haben sich die Spannungen zwischen Geimpften und Ungeimpften laufend verstärkt. „Das Gemeinsame gerät aus dem Blick.“ Das Hospiz am See bringt in dieser Hinsicht vieles wieder ins Lot. 

Wer das Haus betritt, spürt mit jedem Atemzug, wie sich die Prioritäten verschieben. Das ganze Gezänk um die Pandemie und ihre Bewältigung scheint im Umfeld Sterbender weit weg. Was wirklich wichtig ist, kommt hier ganz unscheinbar daher: ein Mittagessen, das schmeckt, gemeinsam verbrachte Zeit, der Baum vor dem Fenster.

Karl Bitschnau
Karl Bitschnau leitet die Hospiz Vorarlberg und auch das Hospiz am See. © AK Vorarlberg, Thomas Matt


Dass die Menschen wieder aufwachen

Öffnet sie ihren Schrank, entfalten sich 1001 Düfte. Karin Prock leistet Aroma-Pflege. Mit Massagen, Zerstäuber, gibt da etwas Öl auf die Innenseite der Oberarme, reichert dort die Körperpflege an. „Das hilft, wenn betagte Menschen unruhig sind oder im Sterben liegen“, sagt die diplomierte Krankenschwester, „Gerüche tun so viel Gutes.“

Corona hat ihren Alltag verändert. Maskenpflicht und Schutzbrille, Besuchsregelungen, all das fällt schwer. Derzeit darf jede:r der zehn Gäste im Hospiz zwei Besucher gleichzeitig empfangen. „Dürfen nun Kinder mit oder nicht? Wenn jemand im Sterben liegt, und das Enkelkind wäre der dritte Besucher – da sind die Regeln ganz schwer einzuhalten.“ Wenn sie sich etwas wünschen dürfte, dann, „dass die Menschen wieder einmal aufwachen und nicht mehr alles und jedes bekriegt wird“. Denn „die Unruhe in der Welt, die macht etwas mit mir.“ Eine ganze Zeitungsseite ganz bewusst mit positiven Nachrichten, das fände sie schön.

Karin Prock
Karin Prock (61) ist zuständig für die Aoma-Pflege. © AK Vorarlberg, Thomas Matt


Ohne Ehrenamtliche wäre das nicht zu schaffen

„30 Ehrenamtliche begleiten unsere Gäste auf der Station.“ Anja Rümmele-Peintner koordiniert das Team. Es zählt 23 Stammmitarbeiter:innen und 7 Springer:innen. Sie sind jeweils von 11 bis 15:30 Uhr und von 15:30 bis 20 Uhr im Dienst.

„Die Hospizbegleiter sind einfach da, fragen unsere Gäste nach ihren Wünschen, helfen beim Essen, gehen mit ihnen spazieren, wenn es möglich ist, lesen ein Buch mit ihnen, beten, singen mit ihnen.“ Alle haben sie den Befähigungskurs von 100 Stunden Theorie und 40 Stunden Praxis absolviert.

Ist ihr Team groß genug? „Wir brauchen immer Leute.“ Aber Anja kann sich nicht beklagen. Trotz Corona ist es im Moment ganz in Ordnung.“ Großteils Pensionisten leisten ein bis drei Dienste pro Woche. Anja Rümmele-Peintner mag ihre Arbeit. „Ich hab’ das Gefühl, dass ich damit etwas Gutes tun kann. Das stiftet Sinn.“ 

Anja hat eine zwölfjährige Tochter. Jana Rosa war schon oft an Mamas Arbeitsplatz zu Besuch. „Sie empfindet das Hospiz als einen schönen Ort mit einer schönen Stimmung.“ Dass hier Menschen ihren letzten Weg gehen, „das gehört für uns dazu“, sagt Anja Rümmele-Peintner.

Sie würde sich so sehr wünschen, „dass die Menschen wieder das Verbindende vor das Trennende stellen“. Solidarität versus Eigeninteresse – und trotzdem die Meinungen anderer stehen lassen können, das wäre was! Wenn sie die Demos sieht, muss sie zwangsläufig an den sprichwörtlichen Menschen denken, der den Ast absägt, auf dem er sitzt. „Die Leute denken keine drei Meter weit. Sie wissen ja nicht, ob sie nicht einmal selbst im Spital landen.“

Anja Rümmele-Peintner
Anja Rümmele-Peintner (47) koordiniert die ehrenamtlichen Teams. © AK Vorarlberg, Thomas Matt


Kein Platz mehr für Oberflächlichkeiten

Sie hat im Krankenhaus, in der Altenpflege und auf einer Wochenstation gearbeitet. Aber das Herz von Maria Lackner hängt an der Hospizarbeit. Warum? „Bei uns sind Menschen mit ihrer Endlichkeit so konfrontiert, dass sie sich Oberflächlichkeit nicht mehr leisten können. Es berührt mich selbst zutiefst, wenn die Menschen sich öffnen.“ 

Nicht alle stellen sich ihren persönlichen Fragen. „Das darf auch so sein.“ Viele sehnen auch ihren Tod herbei. „Jetzt habe ich lange genug gekämpft“, sagen sie, „jetzt ist genug.“ Angehörige wundern sich oft, dass Maria so einen Job machen kann. „Du musst halt bereit sein, dich existentiellen Fragen zu stellen. Und als Profi kann ich jemanden viel leichter begleiten als in der Rolle der Angehörige.“ 

Das hat Maria Lackner zuletzt selbst erfahren: „Mein Vater ist heuer im Juni im Pflegeheim gestorben. Eine Woche lang schlüpfte sie in eine völlig andere Rolle: „An seinem Bett sitzen und seine Atempausen aushalten – da war ich die Tochter.“ Beruflich braucht sie diese gewisse, gesunde Distanz. „Sonst käme ich ins Burnout.“ Wünsche zu Weihnachten hat sie keine. Gut, „dass wir grad jetzt auch gut miteinander reden“, das wäre schön.

Maria Lackner
Maria Lackner (55) ist diplomierte Pflegekraft im Hospiz am See. © AK Vorarlberg, Thomas Matt


„Wir erfüllen Wünsche unserer Gäste“

Für sie sind es die ersten Weihnachten „ohne Mama“. Angelikas Mutter starb vor wenigen Tagen. „Wir haben sie hier im Haus fünf Wochen lang begleitet.“ 

Angelika Müller hat 35 Jahre in der Akutpflege gearbeitet. Zeit für ihre Patient:innen fand sie dabei selten. „Nach 12-Stunden-Diensten kam ich völlig erledigt nachhause.“ Das ist im Hospiz ganz anders. Die Patient:innen heißen hier Gäste. „Wir erfüllen ihnen Wünsche.“

Die sind nicht groß: Mal ein Frühstücksei oder ein Spaziergang zum See. „Wir hatten auch schon Hochzeiten im Hospiz“, erzählt sie. „Ein Gast wollte unbedingt noch eine Angel in den Bodensee halten“, auch das hat ihr Team ermöglicht. Und eine richtige Nikolofeier. Angelika hat die Frau mit ihren zwei Kindern noch gut vor Augen: „Sie wollte unbedingt noch eine Nikolausfeier mit der gesamten Familie machen. Wir haben dann gemerkt, dass ihr Mann ziemlich überfordert war. Also haben wir unseren Andachtsraum zur Verfügung gestellt und nett hergerichtet. Auch einen Nikolaus und einen Krampus haben wir gestellt.  Das war natürlich vor Corona.“ Heute ginge das nicht mehr.

Vor Corona war mehr Leben im Haus. Das vermisst sie. Gerne würde Angelika Müller das Café Augenblick wieder aufsperren oder den Trauertreff stattfinden lassen, der seit Beginn des dreiwöchigen Lockdowns abgesetzt werden musste.

Wie geht das Team des Hospiz selbst mit der Trauer um? „Natürlich fällt uns der Abschied schwer, wenn Gäste schon mehrere Monate bei uns gelebt haben.“ Oder wenn Junge gehen müssen, wie der 33-jährige Gast vor wenigen Wochen. Das Hospizteam hat Rituale und „wir reden viel mit einander“. 

Eine brennende Kerze im Aufenthaltsbereich sagt an, dass ein Gast gestorben ist. „Wir schreiben seinen Namen auf einen Stein mit dem Sterbedatum und wandern von Zeit zu Zeit zum See, um uns an diesen Gast zu erinnern.“ Gedanken und Gebete begleiten ihn, „den Stein mit seinem Namen übergeben wir dem See“.

Angelika Müller
Angelika Müller (59) leitet die Pflege im Hospiz am See. © AK Vorarlberg, Thomas Matt


Arbeitsqualität in der Pflege

Die AK Vorarlberg setzt sich auf verschiedenen Wegen für die Arbeitsqualität in der Pflege ein. Aktuelle Vorstöße und Dauerbrenner findest du auf unserer Website.

Apropos Pflege: Die Arbeitsbedingungen in der Pflege waren Thema des des Zukunftsdialogs „Gute Arbeit und gute Pflege“. Die Teilnehmer:innen haben zahlreiche Handlungsfelder skizziert. Darüber steht in roten Lettern die wichtigste aller Forderungen: „Tun“ – statt nur darüber reden.

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