In Indien und Madagaskar schürfen rund 30.000 Mädchen und Jungen unter härtesten Bedingungen das Mineral Mica.
In Indien und Madagaskar schürfen rund 30.000 Mädchen und Jungen unter härtesten Bedingungen das Mineral Mica. © terre des hommes Deutschland e. V., terre des hommes Deutschland e. V.
25.07.2023
Konsum

Dieses Gesetz könnte Unternehmen für                  Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung ziehen

Konsum,Nachhaltigkeit,Politik,Solidarität

Wie kann man die globale Wertschöpfungskette sozial und ökologisch gerechter machen? Das europäische Lieferkettengesetz wäre der Hebel dazu. Es trat am 1. Jänner 2023 in Kraft. Grundlegende Menschenrechte sollen damit besser geschützt werden.

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EU-Parlament, EU-Kommission und Mitgliedsstaaten wollen nun bis September Details sämtliche ausverhandeln und spätestens bis zur EU-Wahl 2024 das fertige Gesetz vorlegen. Dass bis zum letzten Tag gerungen wird, steht außer Zweifel. Denn die Positionen liegen weit auseinander. Wenn die entsprechende Richtlinie im Laufe des Jahres 2024 beschlossen wird, haben die Mitgliedstaaten voraussichtlich zwei Jahre Zeit, um diese europäische Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. In diesem Zeitraum wird der österreichische Gesetzgeber ein eigenes Lieferkettengesetz verabschieden. Bislang existieren noch keine einschlägigen Regelungen.

Blick in die Abgründe des Konsums

Warum überhaupt ein Lieferkettengesetz? Es gibt unzählige Gründe, denn noch immer ist unser Hunger nach Konsumgütern maßlos. Unter welch unsäglichen Bedingungen das produziert wird, was letztendlich als Schnäppchen auf Wühltischen zu liegen kommt, ist nur eine Motivation, die Lieferketten endlich zu kontrollieren. 

Eine Näherin in Bangladesch erhält durchschnittlich 46 Euro im Monat. Viele Arbeiterinnen müssen weit unterhalb der Armutsgrenze zurecht kommen. "Währenddessen pumpt die Modeindustrie ihre Chemikalien in die Flüsse und die Luft", schreibt Max Eberle auf der Plattform moment.at. "Das gefährdet die Gesundheit derer, die bereits von schwerer Armut betroffen sind." Von sicheren Arbeitsbedingungen gar nicht zu reden. Ein entsetzliches Beispiel, wohin das führen kann, jährte sich heuer im April zum zehnten Mal.

Textilarbeiterinnen bei Armstrong Knitting Mills im indischen Tiruppur. Einer AK-Erhebung zum Kleiderkonsum zufolge hängen rund 185 Millionen Stück Kleidung quasi ungetragen in heimischen Kleidungsschränken. Was motiviert die Kund:innen, dennoch weiter einzukaufen? Der günstigste Preis ist für 78 Prozent sehr oder eher kaufentscheidend, deutlich weniger Befragte nannten hohe Umweltstandards (44 Prozent) oder Sozialstandards (40 Prozent).
Textilarbeiterinnen bei Armstrong Knitting Mills im indischen Tiruppur. Einer AK-Erhebung zum Kleiderkonsum zufolge hängen rund 185 Millionen Stück Kleidung quasi ungetragen in heimischen Kleidungsschränken. Was motiviert die Kund:innen, dennoch weiter einzukaufen? Der günstigste Preis ist für 78 Prozent sehr oder eher kaufentscheidend, deutlich weniger Befragte nannten hohe Umweltstandards (44 Prozent) oder Sozialstandards (40 Prozent). © Pavi Siva, Fairtrade


Mahnmal Rana Plaza

Am 24. April 2013 um 9 Uhr bezahlten in Bangladesh 1226 Menschen mit ihrem Leben, dass es so etwas wie Arbeitssicherheit nicht gab: Im achtstöckigen Rana Plaza waren am Vortag Risse festgestellt worden. Obwohl die Polizei den Zutritt untersagte, gingen die Menschen dennoch zur Arbeit. Die im Gebäude eingemieteten Geschäfte und eine Bank waren der polizeilichen Aufforderung nachgekommen. Die Besitzer:innen der Textilfabriken im oberen Teil des Gebäudes aber hatten ihre Arbeiter:innen unter Druck gesetzt, weiter zur Arbeit zu gehen. Wenige Stunden später stürzte das Gebäude ein. Der 400 Seiten starke Bericht einer Untersuchungskommission kam Ende Mai 2013 zu dem Schluss, dass die Hauptursache für die Katastrophe grobe Fahrlässigkeit war. Bis heute wurden die skrupellosen Arbeitgeber:innen nicht verurteilt.


Rund 2000 verletzte Arbeiter:innen überlebten die Katastrophe zwar. Aber sie leiden noch heute an den gesundheitlichen und sozialen Folgen. Geringe Entschädigungen wurden erst nach jahrelangem Rechtsstreit ausbezahlt. Die österreichische Gewerkschafterin Monika Kemperle kämpfte damals als Assistant General Secretary bei IndustriALL Global Union für die Rechte der Betroffenen.

Ein Abkommen über Brand- und Gebäudesicherheit gibt es inzwischen, aber Gewerkschaftern aus Bangladesh zufolge bleibt die Regierungsbehörde, die Fabriken überprüfen sollte, untätig.  Rashedul Alam Raju ist Generalsekretär der Gewerkschaft „Verband der unabhängigen Bekleidungsgewerkschaften in Bangladesch“. Er zieht nach zehn Jahren eine triste Bilanz: „Im Moment erleben wir eine Kehrtwende. Wir kehren zu den alten schlechten Bedingungen zurück. Die Regierung von Bangladesch tut nichts, um die Lage der Arbeiter:innen in den Fabriken zu verbessern“, sagt er am Rande einer Pressekonferenz zum Jahrestag der Katastrophe.

Ein Gesetz das Leben rettet

In Pakistan mussten schon ein halbtes Jahr davor Arbeiter:innen sterben: Am 11. September 2012 verloren 258 Menschen beim verheerenden Brand in der Textilfabrik Ali Enterprises in Karatschi ihr Leben, 32 wurden verletzt. Hauptkunde der Fabrik war nach eigenen Angaben der deutsche Textildiscounter KiK. Als Hauptkunde der Fabrik hätte KiK Brandschutzverbesserungen einfordern können. Das ist aber offenbar nicht geschehen. Erst eine Zivilklage in Deutschland und die Einschaltung der International Labour Organization (ILO) konnten die Textilkette bewegen, den Betroffenen 5,15 Millionen US-Dollar Hinterbliebenen- und Unfallentschädigung zu zahlen. Ein strenges Lieferkettengesetz hätte es in Bangladesh und in Pakistan erst gar nicht soweit kommen lassen.

Ein Mann, der in die Kamera blickt


… und die Umwelt auch

Das Lieferkettengesetz der EU wäre, wenn es ernst gemeint ist, ein mächtiges Instrument: Es würde die Menschen und die Umwelt gleichermaßen schützen. Es könnte wirksam helfen, dass etwa Palmöl, das sich von der Pizza über den Lippenstift bis zum Waschmittel in unzähligen Produkten wiederfindet, endlich wirklich zurückgedrängt oder nachhaltigen Produktionskriterien unterworfen wird. Auf etwa 28,91 Millionen Hektar wurden im Jahr 2021 die Früchte der Ölpalme angebaut. Globale, gemeinnützige Organisationen wie der Roundtable on Sustainable Palm Oil (RSPO) leisten zwar viel, aber ihre Arbeit geschieht ehrenamtlich. Sie können nicht verhindern, dass der Raubbau rund um den Äquator in artenreichen Regionen, wie Indonesien und Malaysia, weitergeht. Wenn aber europäische Unternehmen für solche schwarzen Flecken in ihren Lieferketten zahlen müssten, hätte das Wirkung.

Heiß diskutierter Entwurf

Am 11. Juli 2023 trafen sich Vertreter von EU-Parlament, EU-Kommission und Mitgliedsstaaten zur zweiten Verhandlungsrunde – bekannt als Trilog – und diskutieren, wie das EU-Lieferkettengesetz konkret ausgestaltet werden soll. Global 2000 und Fridays for Future Austria forderten im Vorfeld, dass auch Klimaauswirkungen in die Sorgfaltspflicht von Unternehmen fallen sollen.

Aktuell sind 152 Millionen Mädchen und Jungen weltweit von Kinderarbeit betroffen.
Aktuell sind 152 Millionen Mädchen und Jungen weltweit von Kinderarbeit betroffen. © KIndernothilfe, Kindernothilfe

Der aktuelle Entwurf des Lieferkettengesetzes würde alle Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz von weltweit mehr als 40 Millionen Euro zur Erstellung eines Klimaplans verpflichten. Dieser Plan muss sich am 1,5-Grad-Ziel orientieren und soll außerdem Risikoanalysen beinhalten, welche die Tätigkeiten der Unternehmen auf Umweltschäden prüfen. Der Entwurf der EU-Kommission hatte 500 Mitarbeiter und 150 Millionen Euro Umsatz vorgeschlagen und nur in Risikobranchen (Bekleidung, Agrarindustrie) kleinere Unternehmen in die Pflicht genommen.

Im September findet die dritte Verhandlungsrunde zwischen den Mitgliedsstaaten, dem Parlament und der Kommission statt. Bis Ende 2023, spätestens jedoch bis zur EU-Wahl 2024 soll das fertige Gesetz vorliegen. Für die rund 152 Millionen Mädchen und Buben, die weltweit Kinderarbeit leisten müssen, kann es keinen Tag zu früh kommen.


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