29.7.2025
Bildung
Gabriele von Arnim: Wenn Zuversicht zum (Über-)lebenselixier wird
Begegnung,Bildung,Gesellschaft,Kultur,Wissen,Wissen fürs Leben
Wenn Gabriele von Arnim über Vergänglichkeit, Trost und Zuversicht spricht, hört man die sprichwörtliche Stecknadel fallen im Saal. Nicht viele Menschen haben so viel zu sagen.
Gabriele von Arnim ist heute 78. Sie war 30 Jahre lang verheiratet, zehn Jahre davon pflegte sie ihren Mann, den sie eigentlich hatte verlassen wollen. In Salzburg erzählte sie darüber, was ihr damals half.
Die Salzburger Disputationes werden jedes Jahr mit viel Gespür von der gebürtigen Feldkircherin Dr. Claudia Schmidt-Hahn in Szene gesetzt. Frauen und Männer aus Wissenschaft und Kultur haben sich im Rahmen der Salzburger Festspiele 2025 der Frqge nach dem "Schicksal" gewidmet.
Die deutsche Journalistin und Schriftstellerin Dr. Gabriele von Arnim hat mit ihrem Buch "Das Leben ist ein vorübergehender Zustand" enorme Resonanz erzielt. Darin schildert sie ehrlich und ungeschminkt und doch aufs Behutsamste, wie sie ihren Mann, den zwei Schlaganfälle zu einem Pflegefall gemacht hatten, zehn Jahre lang gepflegt hat. Und das, obwohl sie ihm gerade eröffnet hatte, dass sie ihn verlassen wollte. Am Abend dieses Tages kam der verhängnisvolle Anruf aus dem Krankenhaus, und nichts war mehr wie früher. Sie blieb. Bot übermenschliche Kräfte auf, kämpfte, kümmerte sich, fand aus der vollkommenen Überforderung irgendwie in einen neuen, so ganz anderen Alltag. Darüber hat sie in respektvollem Abstand zum Tod ihres Mannes ein Buch geschrieben, das über Nacht zum Bestseller wurde.
In diesem Blog:
- Bilderbuch-Karrieren
- Körperliche und seelische Anstrengungen
- Freunde unendlich wichtig
- "Das können wir uns nicht leisten"
- In seinem Atem gelebt
- Zur Person Gabriele von Arnim
„Das Leben ist ein vorübergehender Zustand“ ist bei Rowohlt erschienen. © Verlag, Rowohlt
Bilderbuch-Karrieren
Gabriele von Arnim war längst wer in der Zeit davor. Hatte sich als Kulturberichterstatterin in New York über zehn Jahr hinweg einen Namen gemacht, für die "Süddeutsche Zeitung" und für die Wochenzeitschrift "Die Zeit" geschrieben, zahlreiche Bücher veröffentlicht. Hatte sich eingehend und engagiert mit der NS-Zeit befasst und war als Moderatorin bei ARTE und dem SWR weit über Deutschland hinaus ein bekanntes Gesicht. Und ihr Ehemann Martin Schulze? Gefeierter Reporter, Fernsehjournalist ARD-Chefredakteur. 1999 ging er in Pension. 2004 erlitt er die Schlaganfälle.
In der Reihe "Wissen fürs Leben" lädt die AK namhafte ReferentInnen aus Philosophie, Psychologie, Natur-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zu Vorträgen nach Feldkirch ein, die auf unserem Youtube-Kanal erhalten bleiben.
Die Folgen: Er war großteils gelähmt, konnte kaum mehr reden, war ans Bett gefesselt. Gabriele von Arnim war keineswegs die geborene Pflegerin, das sagt sie ganz unumwunden. Fand sie im Aufeinanderschauen Vorbilder in der eigenen Familie? "Nein, keineswegs. Es gab viele Geschwister, aber es gab überhaupt kein Miteinander. Ich habe so etwas wie Mitgefühl, so etwas wie Wahrnehmung des anderen, Achtung vor dem anderen zuhause wahrlich nicht gelernt. Insofern habe ich mich weit von dem entfernt, was mir mitgegeben war. Es war ein langer Weg."
Körperliche und seelische Anstrengungen
Es muss unglaublich anstrengend gewesen sein. "Das sieht man ja jetzt noch", sagt Gabriele von Arnim und lächelt. Das alles hat Folgen gehabt. "Der Rücken war irgendwann völlig kaputt. Ich könnte das, was ich damals geleistet habe, körperlich heute nicht mehr machen."
Man muss das alles auch vor dem Hintergrund sehen, dass Gabriele von Arnim als neunjähriges Mädchen für mehr als ein Jahr ans Bett gefesselt war, die meiste Zeit im Streckverband mit Gewichten an den Füßen. "Die Kindheit ist das Herz des Menschen", hat die deutsche Schriftstellerin Elisabeth Borchers einmal geschrieben. Gabriele von Arnims Herz trug von Kindesbeinen an Wunden.
Aber die physische Anstrengung war in der Pflege ihres Mannes nicht das Heftigste. "Das andere, war ehrlich gesagt, belastender: Wenn jemand so krank ist, dann ist er natürlich auch immer wieder sehr deprimiert und sagt: Ich will nicht mehr leben, ich kann so nicht leben. Man gibt da sehr viel von sich in den anderen hinein, damit er immer noch irgendwie auch mit Freude am Leben teilnehmen kann. Das war das Anstrengendste daran, dass man so viel von sich gibt, um dem anderen das Leben zu ermöglichen."
Freunde unendlich wichtig
Was half ihr? "Wenn es sich ein wenig einpendelt nach einem solchen Trauma, begreift man, was man braucht: Dass man zum Beispiel Freunde braucht, das ist unglaublich wichtig!"
Dass sie nie wirklich aufgehört habe zu arbeiten und immer geschrieben habe, war wichtig. "Ich hatte Glück, dass ich eine Pflegerin hatte, die jeden Tag kam. Das war eine Riesenerleichterung, ein großes Privileg, das Geld zu haben und sich das leisten zu können."
In seinem Atem gelebt
Und Kraft habe sie tatsächlich in der Literatur gefunden: "Ich lese einfach unglaublich viel und gerne." Deshalb streut sie auch wunderbare Lesefrüchte in ihre Bücher, wie Mascha Kalekos berühmtes Gedicht: "Die Nacht, in der das Fürchten wohnt, hat auch die Sterne und den Mond."
Hin und wieder rauszugehen, einen Kaffee trinken, auch das half. Denn "ich musste aufpassen – und ich glaube, es geht vielen so: Ich habe nicht mehr in meinem eigenen Atem gelebt. Ich habe in seinem Atem gelebt. Das macht einen kaputt. Das ist unglaublich schwierig, diese Grenze nicht zu überschreiten. Man will ja für den anderen da sein, man soll aber auch für sich da sein. Das hat lange gebraucht, bis ich das einigermaßen begriffen habe."
Gabriele von Arnims Buch „Liebe Enkel oder die Kunst der Zuversicht“ ist im Kona Verlag erschienen und auch als Hörbuch erhältlich. © Verlag, Kjona
"Das können wir uns nicht leisten"
"Es gehört zum Wesen der Hoffnung, dass sie enttäuscht werden kann, sonst wäre sie ja Zuversicht", schrieb der deutsche Philosoph Ernst Bloch. Aber wie bleiben oder werden wir zuversichtlich in diesen fragilen Zeiten? Woher nahm Gabfriele von Arnim Zuversicht während der zehn Jahre? Mit Neugier und Herzglut machte sie sich auf die Suche. Denn sie ist überzeugt davon, dass wir Zuversicht brauchen, weil sonst Chaos und Stillstand zugleich herrschen würden.
Gabriele von Arnim rät im Podcast "Hotel Matze" zum "Schauen, was junge Menschen alles auf die Beine stehen, was sie tun, wie sie denken, wie sich verknüpfen. Da gibt es so viel Kraft, dass ich denke: Warum soll ich mich jetzt in diesen Pessimismus hineinwerfen, der nur dazu führt dass sich nichts ändert", fragt sie und ist fest davon überzeugt, "dass wir die Kunst der Zuversicht tatsächlich brauchen, damit wir die Welt ,wie sie ist, ein wenig verändern können, denn sonst bleibt alles, wie es ist, und das können wir uns nicht leisten." Die Kunst der Zuversicht, sagt sie, kann, nein muss man üben. Wie das gelingt, verrät Gabriele von Arnim ihren Enkeln und allen Leser:innen in ihrem ganz wundervollen Buch.
Zur Person Gabriele von Arnim
Dr. Gabriele von Arnim (78) ist Journalistin und Schriftstellerin. Sie hat zehn Jahre als freie Journalistin in New York gelebt. Danach schrieb sie u. a. für Die Zeit und Süddeutsche, BR und WDR und arbeitete als Moderatorin für ARTE, SDR/SWR und SF. Sie schreibt Rezensionen für Zeitungen und Hörfunk, moderiert Lesungen und hat mehrere Bücher veröffentlicht, darunter "Das große Schweigen: von der Schwierigkeit, mit den Schatten der Vergangenheit zu leben". Sie lebt in Berlin. In ihrem Buch „Das Leben ist ein vorübergehender Zustand“ (2021) beschreibt sie, wie sich ihr Leben änderte, als ihr Mann zum Pflegefall wird. Zuletzt erschienen: Der Trost der Schönheit: Eine Suche (2023); Liebe Enkel oder die Kunst der Zuversicht (2024)
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