Menschen am Busterminal in Istanbul, auf den Schildern die Destinationen
Menschen am Busterminal in Istanbul, auf den Schildern die Destinationen © Nikolaus Walter
19.9.2025
Soziales

Ein Neubeginn für Viele: Als die AK zur Stimme der Migrant:innen wurde

Arbeit,Geschichte,KW9,Migration,Politik

Die Geschichte der Migration nach Vorarlberg ist auch eine ­Geschichte der Anfänge. Sie erzählt vom ­Aufbruch der Menschen – und vom ­Wandel der AK an ihrer Seite.

Wirtschaftswachstum und Arbeitskräftemangel in den 1960er-Jahren
Die Frage nach Zugehörigkeit und Konkurrenz am Arbeitsplatz ist hochpolitisch – und fast so alt wie die Arbeiterbewegung selbst. Schon im 19. und frühen 20. Jahrhundert drehen sich Debatten darum, ob »Fremdarbeiter« den Einheimischen Arbeit und Lohn streitig machen könnten. Mitte der 1960er-Jahre stellt sich diese Frage mit neuer Dringlichkeit: Die Wirtschaft brummt, Arbeits­kräfte fehlen – auch und vor allem in Vorarlberg. Mit dem Anwerbeabkommen zwischen Österreich und der Türkei von 1964 beginnt eine Entwicklung, die das Land nachhaltig verändern wird. Eigentlich als kurzfristige Hilfe gedacht, wird schon bald klar: Viele der sogenannten »Gastarbeiter« bleiben.

Geschichte der AK

Die AK ist #deineStimme – seit über 100 Jahren. Entdecke, wie sich deine Interessenvertretung entwickelt hat und warum sie heute wichtiger ist denn je.

Die Arbeiterkammer steht dieser Entwicklung zunächst skeptisch gegenüber. Schon in den späten 1950er-Jahren warnt sie – wie viele andere – vor Lohnverfall, Arbeitsplatzverlust und davor, dass Betriebe lieber billige Arbeitskräfte einsetzen statt in moderne Maschinen zu investieren. Doch nach dem ersten Anwerbeabkommen ändert sich ihre Haltung. Drei Jahre später leben bereits mehr als 8.000 Gastarbeiter:innen in Vorarlberg. Die AK erkennt, dass sich daraus neue Herausforderungen, aber auch Chancen ergeben. 1967 gründet sie deshalb das erste Gastarbeiterreferat Österreichs. Der wachsende Arbeitskräftemangel und die Schwierig­keiten, mit denen die zugereisten Arbeitnehmer:innen konfrontiert sind, veranlassen die AK, ihre anfängliche Zurückhaltung zu überwinden.

Abschied und Aufbruch: Arbeitsmigranten auf dem Weg in eine neue Zukunft. Am Ende der langen Fahrt wartet Vorarlberg – ein Land im Aufschwung, aber mit akutem Arbeitskräftemangel.
Abschied und Aufbruch: Arbeitsmigranten auf dem Weg in eine neue Zukunft. Am Ende der langen Fahrt wartet Vorarlberg – ein Land im Aufschwung, aber mit akutem Arbeitskräftemangel. © Rudolf Zündel

Bertram Jäger: Eine Stimme für die Vielen
Eine zentrale Rolle spielt in dieser Zeit Bertram Jäger. Er setzt sich für Solidarität und soziale Gerechtigkeit ein – unabhängig von Herkunft oder Nationalität. Jäger ist bekannt dafür, eine Stimme für die »Vielen« zu sein, also auch für jene, die oft am Rand der Gesellschaft stehen. Er erkennt früh, dass aus einem vermeintlich vorübergehenden Phänomen eine dauerhafte Veränderung entstehen wird. Und er versteht: Wenn die Arbeiterkammer die Arbeitsmigrant:innen nicht vertritt, dann könnte sich eine parallele Interessenvertretung bilden.

Die AK Vorarlberg entwickelt sich für die Mi­grant:innen zu einer wichtigen Anlaufstelle. Das Gastarbeiterreferat bietet Rechtsberatung, hilft bei Sprachbarrieren, schützt vor Ausbeutung, organisiert Sprachkurse und unterstützt Vereine und kulturelle Initiativen. Hier beginnt für viele nicht nur ein Arbeits-, sondern auch ein Lebensweg in Vorarlberg.

Im November 1969 wird Bertram Jäger zum Präsidenten der AK Vorarlberg gewählt. Bis 1987 prägt er die Institution entscheidend. Sein ­Engagement wirkt auch institutionell nach: Gast­arbeiter:innen sind wie alle Arbeitnehmer:innen AK Mitglieder und damit wahlberechtigt bei der AK Wahl. Die Arbeiterkammer wird so einmal mehr zur Stimme der Vielen.

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