Ladenschlussdemo in Bregenz, 3. Mai 1973
Lautstarker Protest: Die Demonstration ist vor dem alten Landhaus angekommen. © Helmut Klapper
3.5.2023
Arbeit

50 Jahre Ladenschlussdemo in Bregenz: „Wer will heute noch im Handel arbeiten?“

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Heute vor genau 50 Jahren marschierten in Bregenz rund 450 Handelsangestellte unter Führung der AK Vorarlberg und der Gewerkschaft zum alten Landhaus. Ihre Forderung an Landeshauptmann Herbert Keßler: Schluss mit familienfeindlichen Ladenschlusszeiten.

In diesem Beitrag

„Wir fordern den freien Samstag Nachmittag!“ „Auch wir wollen ein verlängertes Wochenende!“ „Sind Vorarlberger Handelsangestellte Menschen zweiter Klasse?“ „Wir sind keine Kulis!“

Diese Botschaften prangten auf den handschriftlich gestalteten Tafeln, mit denen die Menschen am 3. Mai 1973 lautstark durch die Straßen von Bregenz zogen. Gerichtet waren sie vor allem an einen Mann: Herbert Keßler. Der saß damals noch in der Jahnstraße, in der sich das alte Vorarlberger Landhaus befand. Für den Landeshauptmann hatten die Demonstrierenden auch persönliche Botschaften dabei: „Der Kessler Hut muss weg“, „Demokratie oder Kessler Diktatur“, „Landeshauptmann fördert Straßenkinder.“

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Ladenschlussverordnung familienfeindlich

Die Handelsangestellten wollten am Samstagnachmittag frei – anders gesprochen: eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Für sie war klar, dass die „familienfeindliche Ladenschlussverordnung“ weg muss. Um der Politik zu zeigen, dass diese Forderung nicht überzogen war, verwiesen die Handelsangestellten auf andere Branchen: „Alle Banken, Ämter und Institute haben Samstag-Nachmittag geschlossen. Warum nicht wir?“ 

Ladenschlussdemo in Bregenz, 3. Mai 1973
Der Demonstrationszug auf dem Weg zum alten Landhaus. In der ersten Reihe: AK Präsident Bertram Jäger (zweiter von links). © Helmut Klapper


Dem Argument „Aber die Wirtschaft…“ – das ja immer ins Feld geführt wird, wenn es gegen die Interessen der Arbeitnehmer:innen geht – begegneten die Demonstranten mit einem interessanten Hinweis aufs Montafon: „Trotz Samstag 12h Ladenschluss im Montafon, entwickeln sich die Betriebe prächtig.“


„Alle Banken, Ämter und Institute haben Samstag-Nachmittag geschlossen. Warum nicht wir?“

Spruch auf einer Protesttafel

3. Mai 1973



Landesregierung lehnte Forderung ab

Wurde die Forderung der Arbeitnehmer:innen erfüllt? Leider nein. Die Landesregierung lehnte schließlich ab, obwohl sie der Arbeiterkammer und der Gewerkschaft die Prüfung der Ladenschlussverordnung zugesichert hatte.

AK Präsident Bertram Jäger sah, wie er den Vorarlberger Nachrichten damals erzählte, dennoch einen Erfolg: „Die Demonstration war notwendig, um einmal zu zeigen, dass die Forderung nach Änderung der Ladenschlussbestimmung nicht nur Angelegenheit einiger Funktionäre ist, sondern die Forderung der Handelsangestellten.“

Ihren Willen bekamen die Angestellten indirekt zwei Jahre später. 1975 wurde österreichweit die 40-Stunden-Woche eingeführt – als Normalarbeitszeit für alle.

Ladenschlussdemo in Bregenz, 3. Mai 1973
© AK Vorarlberg


Liberalisierung der Öffnungszeiten

Machen wir den Sprung in die Gegenwart. Kommt man heute am Samstagnachmittag an einem Einkaufszentrum vorbei, wirken die politischen Auseinandersetzungen von damals geradezu unwirklich. Ab 12 Uhr geschlossene Geschäfte? Unvorstellbar. 1989 wurde der lange Einkaufssamstag eingeführt. Seit 2003 sieht die Öffnungszeitenregelung so aus: Unternehmer:innen dürfen ihre Geschäfte in Vorarlberg von Montag bis Freitag zwischen 5 und 21 Uhr sowie am Samstag zwischen 5 und 18 Uhr aufsperren, insgesamt für bis zu 72 Stunden.

Ladenschlussdemo in Bregenz, 3. Mai 1973
Die Botschaften waren deutlich zu hören, allein es fehlte der politische Wille. © Helmut Klapper


Angriff auf erreichte Errungenschaften

Der Kampf für kürzere Arbeitszeiten blickt in Österreich auf eine lange Geschichte. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein waren Arbeitszeiten überhaupt nicht gesetzlich geregelt und konnten frei von Arbeitgebern bestimmt werden. 70-Stunden-Wochen waren keine Seltenheit. Den 8-Stunden-Tag forderten Arbeiter:innen erstmals am 1. Mai 1890. Eingeführt wurde dieser erst 30 Jahre später. Eine Reduktion auf 45 Arbeitsstunden pro Woche wurde 1959 umgesetzt. Die 40-Stundenwoche kam erst 1975.

Ein massiver Angriff auf die Rechte der Arbeitnehmer:innen erfolgte im September 2018 durch die Bundesregierung. Seither können Arbeitgeber von Angestellten verlangen, bis zu 12 Stunden täglich zu arbeiten, etwa wenn viele Aufträge zu erledigen sind – an fünf 5 Tagen und bis zu 60 Stunden wöchentlich.

Alles freiwillig, beschwichtigte die türkis-blaue Koalition – wer's glaubt. Die Arbeiterkammer und die Gewerkschaften kritisierten den gesetzlichen Rückschritt scharf, doch leider vergeblich. Bereits im November 2018 gab es Berichte über Betriebe, die ihre Mitarbeiter:innen auf Basis des neuen Gesetzes unter Druck setzten.

Ladenschlussdemo in Bregenz, 3. Mai 1973
© Helmut Klapper


Erster Kollektivvertrag mit 37-Stunden

Dass es auch anders geht, zeigt der Kollektivvertrag für die Beschäftigten im Gesundheits-, Sozial- und Pflegebereich. Auch sie sind auf die Straße gegangen, haben gestreikt und schließlich einen Erfolg errungen: Als erste Branche in Österreich wurde in der Sozialwirtschaft die 37-Stunden-Woche als Normalarbeitszeit festgelegt. Die Regelung gilt seit 1. Jänner 2022.

Demonstrantin
Ohne Protest geht nichts weiter: Im Dezember 2021 gingen die Beschäftigten der Sozialberufe auf die Straße und forderten bessere Arbeitsbedingungen für die gebeutelte Branche. © AK Vorarlberg


Starke Stimme für deine Rechte

Was kann uns der Blick in die Geschichte und der Vergleich mit der Gegenwart lehren? Der Kampf für die Rechte der Arbeitnehmer:innen ist nie vorbei. Man darf nicht locker lassen. 

Einmal erreichte Errungenschaften sind nicht selbstverständlich. Was wir als selbstverständlich erachten, kann schneller weg sein, als wir uns vorstellen können. Deshalb braucht es eine starke Arbeitnehmervertretung.

Diese kannst auch du stärken – mit deiner Stimme bei der AK Wahl 2024.

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