2. Februar 2022
Arbeit
Berufliche Fortbildung ist Arbeitszeit: EuGH entscheidet zugunsten der Beschäftigten
Arbeit,Arbeitszeit,Bildung
Ohne Fortbildung ist eine berufliche Zukunft undenkbar. Aber müssen Beschäftigte in ihrer Freizeit büffeln? Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat anders entschieden.
> Weiterbildung außerhalb der Arbeitszeit galt bisher als Freizeit
> Der Europäische Gerichtshof sieht das anders
> Muss eine Fortbildung gemacht werden, ist diese Arbeitszeit
Dass Arbeitnehmer:innen auf Ausbildungen geschickt werden, ist heutzutage ganz normal. Die Corona-Pandemie hat das allenfalls kurz unterbrochen. Solche Ausbildungszeiten außer Haus werden in der Praxis je nach Unternehmen unterschiedlich gehandhabt.
Mitunter wird die Ausbildung nur so weit als Arbeit verzeichnet und bezahlt, als sie während der vereinbarten Arbeitszeit stattfindet. Besuchen Mitarbeiter:innen Kurse am Abend oder am Wochenende, dann gilt das als Freizeit und bleibt unbezahlt.
Vorgeschriebene Fortbildung ist laut EuGH Arbeitszeit
Das hat der EuGH nun korrigiert. Das oberste rechtsprechende Organ der Europäischen Union mit Sitz in Luxemburg hat am 28. Oktober 2021 entschieden, dass die Zeit, in der ein:e Arbeitnehmer:in eine ihr oder ihm vom Arbeitgeber vorgeschriebene berufliche Fortbildung absolviert, die außerhalb seines gewöhnlichen Arbeitsortes in den Räumlichkeiten des Fortbildungsdienstleisters stattfindet und während der er nicht seinen gewöhnlichen Aufgaben nachgeht, Arbeitszeit ist.
Herbeigeführt hat die Entscheidung ein Kläger, der bei der Gemeindeverwaltung einer rumänischen Stadt als „Leiter der Abteilung Prävention (Feuerwehr)" in Vollzeit beschäftigt ist. Aufgrund von Verwaltungsvorschriften war er zur Teilnahme an einer 160 Stunden umfassenden Fortbildung verpflichtet. Sein Dienstherr hatte ihn angemeldet. Er absolvierte die Ausbildung im März und April 2017 bei einem externen Dienstleister in dessen Räumlichkeiten.
Das oberste rechtsprechende Organ der Europäischen Union hat entschieden: Ausbildungszeiten am Abend oder Wochenende sind keine Freizeit, wenn sie angeordnet sind. © Luxofluxo (CC BY-SA 4.0)
Abteilungsleiter klagte auf Vergütung als Überstunden
Die Fortbildung fand montags bis freitags von 15 Uhr bis 20 Uhr, samstags von 13 Uhr bis 18 Uhr und sonntags von 13 Uhr bis 19 Uhr statt. Am Ende lagen ganze 124 Stunden Fortbildung außerhalb seiner normalen Arbeitszeit. Die wollte er nicht unbezahlt hinnehmen. Also erhob der Feuerwehrmann Klage auf Vergütung dieser Stunden als Überstunden. Das rumänische Gericht wies die Klage ab. Der Kläger legte Berufung ein und das Berufungsgericht wandte sich an den EuGH. Die Gretchenfrage lautete: Was eigentlich ist hier Arbeitszeit?
Der EuGH hat in einer Richtlinie aus 2003 den Begriff „Arbeitszeit“ als „jede Zeitspanne“ definiert, „während der ein Arbeitnehmer … arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt". Als „Ruhezeit“ gilt jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit. „Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“ schließen einander also aus.
Wann liegt also unzweifelhaft Arbeitszeit vor? Wenn der:die Arbeitnehmer:in persönlich an dem vom Arbeitgeber bestimmten Ort anwesend sein und ihm zur Verfügung stehen muss, um gegebenenfalls sofort seine Leistungen erbringen zu können. Arbeitsplatz kann dabei jeder Ort sein, an dem der Arbeitnehmer nach Weisung seines Arbeitgebers eine Tätigkeit auszuüben hat.
Entscheidend ist die Anweisung zur beruflichen Fortbildung
Wird ein:e Arbeitnehmer:in angewiesen, eine berufliche Fortbildung zu absolvieren, um Aufgaben ausüben zu können, so steht er oder sie dem Arbeitgeber während der Fortbildungszeit „zur Verfügung“. Umso mehr, wenn der Arbeitgeber selbst mit dem Anbieter der Fortbildung den Vertrag abschließt. Dabei ist für den EuGH völlig unerheblich, ob die Zeiten der beruflichen Fortbildung ganz oder teilweise außerhalb der normalen Arbeitszeit liegen.
Arbeitgeber tun gut daran, die Entscheidung zu beachten. Sonst drohen Entgeltnachforderungen und Verwaltungsstrafen nach dem Arbeitszeitgesetz und Arbeitsruhegesetz. Denn Ausbildungszeit am Wochenende kann als Arbeitszeit auch Konsequenzen für die – dadurch gestörte – wöchentliche Ruhezeit haben.
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