Mag. Dr. Verena Konrad, Leiterin des Vorarlberger Architektur Instituts, im Interview mit der AK: "Die Aufgabe der Wohnraumversorgung ist eine öffentliche und kann nicht allein dem Markt und privaten Unternehmen überlassen werden."
Mag. Dr. Verena Konrad, Leiterin des Vorarlberger Architektur Instituts, im Interview mit der AK: "Die Aufgabe der Wohnraumversorgung ist eine öffentliche und kann nicht allein dem Markt und privaten Unternehmen überlassen werden." © Darko Todorovic, VAI
17.11.2023
Bildung

»Wohnraumbesorgung darf nicht allein den Märkten überlassen werden«

Bauen & Wohnen,Bildung,Gesellschaft,Interview,Wissen fürs Leben,Wohnen

Dr. Verena Konrad leitet das Vorarlberger Architektur Institut vai. Dessen Grundidee: Baukultur betrifft alle Menschen. Deshalb fördert das via den gesellschaftlichen Diskurs nach Kräften. In der AK Reihe „Wissen fürs Leben“ spricht Verena Konrad  am 5. Dezember ab 19:30 Uhr im Saal der AK über Architektur mit sozialem und ökologischem Anspruch. Im Interview lässt sie gegenwärtige Problemfelder und Entwicklungen Revue passieren.

In diesem Beitrag

In einer Negativspirale

Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Aber Mieten und Kaufpreise sind in den vergangenen Jahren förmlich explodiert. Das setzt den Wohnbau stark unter Druck. Am Ende eines ganzen Arbeitslebens können sich frisch Pensionierte ihre Mietwohnung nicht mehr leisten. Junge Menschen können den Traum von eigenen vier Wänden in den allermeisten Fällen getrost begraben. Was ist da schiefgelaufen?

Verena Konrad: Die steigenden Mieten sind sicher nicht Ursache für die derzeitige Schieflage. Sie sind eine Folge. Und letztlich geht es für die Menschen auch nicht um den Wohnbau selbst, sondern um das Wohnen und Wohnraumversorgung. Diese beiden Begrifflichkeiten würde ich gerne separieren, denn auch in der Realität hat der Wohnbau mittlerweile nicht mehr nur das Grundbedürfnis Wohnen im Blick. Unabhängig davon stehen beide Felder, die Wohnraumversorgung wie auch die Bauwirtschaft, und hier besonders der Wohnbau, unter Druck. Die Ursachen dafür sind vielfältig und reichen von Auswirkungen der Finanzialisierung von Grund, Boden und Wohnraum, der Verfügbarkeit von Grund und Boden, der (Nicht-)Mobilisierung von Leerstand, Phänomenen von Hortung und übermäßigem Renditestreben bis hin zu Kreditverordnungen und europäischer Zinspolitik. Teuerung und Inflation tun ihr übriges. Wir befinden uns derzeit in einer Negativspirale.  

Ein Mann, der in die Kamera blickt


Stark steigende Preise für Boden, Bau und Miete und der Ruf nach leistbarem Wohnen setzen den Wohnbau unter Druck. Welche tauglichen Konzepte für qualitativ gutes und dennoch günstiges Wohnen sehen Sie im Land?

Verena Konrad: Ein wichtiger Aspekt ist der gemeinnützige Wohnbau. Wir haben in den letzten Jahren immer wieder beobachtet, dass das Spekulieren mit menschlichen Grundbedürfnissen und – ich füge hinzu: auch das Spekulieren mit begrenzten natürlichen Ressourcen – verheerende Folgen hat. Wohnen ist ein solches Grundbedürfnis und die Wohnraumversorgung daher essenziell für jeden Menschen, für das Zusammenleben, für den sozialen Frieden. Die Aufgabe der Wohnraumversorgung ist eine öffentliche und kann nicht allein dem Markt und privaten Unternehmen überlassen werden, die den Wohnbau im wesentlichen kapitalmarktgetrieben betreiben. Das gilt auch für andere Bereiche: Gesundheit, Bildung, Versorgung unserer älteren Menschen. Private Unternehmen können hier wertvolle und wichtige Dienstleistungen erbringen. Die Verantwortung kann jedoch nur sinnvoll in einer öffentlichen und damit auch politischen Struktur liegen. Ich hoffe, dass im Land und in den Gemeinden diese Verantwortung noch spürbarer wird als bisher. Der gemeinnützige Wohnbau ist ein wichtiger und auch besser regulierbarer Schlüssel. Die Bauwirtschaft würde auch von diesen öffentlichen Aufträgen profitieren. Sinnvoll wäre es also, sich als öffentliche Hand der Aufgabe selbst anzunehmen, in den gemeinnützigen Wohnbau zu investieren – die neuen Pläne der Landesregierung stimmen hier schon hoffnungsfroh - und besonders dort auch Innovationen zu fördern, was derzeit in Vorarlberg gar nicht passiert.

Wirkung auf das Umfeld mitdenken

Anlässlich der Ausstellung „Mehr als gewohnt“, die im VAI bis April 2023 zu sehen war, artikulieren Sie, dass „gestalterische Qualität der Bauten sowie der Zwischen- und Freiräume, aber auch sich wandelnde Wohnbedürfnisse hierzulande kaum eine Rolle“ spielen. Warum ist das so?

Verena Konrad: Der Wohnbau wird in Vorarlberg sehr stark über das Thema Eigentum gedacht. Eigentümer:innen bauen für sich und ihre Interessen. Im Bewusstsein vieler Eigentümer:innen spielt das Quartier und damit die wichtige Rolle, die jedes Gebäude in seinem Umfeld einnimmt, noch keine große Rolle. Wir möchten das ändern, indem wir aufzeigen, dass gute Architektur und qualitätsvolle Zwischen- und Freiräume in jedem Fall ein gutes Investment sind, für private Bauleute, für Bauträger, Projektentwickler, für Anleger, Investoren und für Nutzer:innen ohnehin.

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Bemerkenswert resistent

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Homeoffice stellt ganz andere Herausforderungen an den Wohnraum. © Fauxels, pexels.com

Die Bedürfnisse ändern sich ganz konkret: Die Zahl der Ein-Personen-Haushalte etwa steigt unaufhörlich. Vereinsamung wird zunehmend ein Thema. Homeoffice verlangt nach neuen Qualitäten. Sind wir für all das gerüstet?

Verena Konrad: Tatsächlich nimmt die Anzahl von Ein-Personen-Haushalten auch in Vorarlberg zu. Das hat verschiedene Gründe: Sozialverhalten, Beziehungsmodelle, höhere Scheidungsraten, höheres Alter,... Nicht zuletzt ist ein Teil davon auch als Folge eines höheren Wohlstandes zu sehen. Wie immer in der Sozialpsychologie ist ein Phänomen nicht nur Folge von etwas, sondern wirkt auch wieder in andere Bereiche hinein: was bedeutet es für die Gemeinschaftsfähigkeit, wenn sich Menschen immer mehr zurückziehen oder auf eigene Standpunkte beziehen? Gemeinschaft braucht Lernfelder. Andererseits gibt es für viele Menschen dadurch auch die Möglichkeit auf Selbstbestimmung. Das Thema Home-Office ist ähnlich komplex. Die Flexibilisierung der Arbeitswelt hat sehr viele Vorteile für den Einzelnen wie auch für Unternehmen. Es gibt positive Effekte etwa im Bereich der dann nicht-stattfindenden Mobilität, was als ökologisch sinnvolle Einsparung empfunden wird. Die Parallelität von Privatem und Beruflichem ist jedoch auch eine große Herausforderung und kann auch als Eingriff und Belastung empfunden werden. Ein Gedanke, der mich besonders beschäftigt, ist die Wahrnehmung, dass viele Menschen ihren Standpunkt im Sinn einer Meinungsdominanz mittlerweile absolut setzen. Wer täglich mit anderen Menschen in Berührung kommt, sei es am Schul- und Arbeitsweg, in öffentlichen Verkehrsmitteln, an der Arbeitsstätte, im Team, hat sicher mehr Potenzial sich einzubringen, zu lernen und Verständnis für andere Lebensrealitäten und Standpunkte zu entwickeln. Bezogen auf den Wohnbau nehmen wir hier nichts von diesen Reflexionen wahr. Die Wohnung werden kleiner und sollen gleichzeitig mehr Funktionen erfüllen. Der Wohnbau in Vorarlberg ist bemerkenswert resistent in Bezug auf die vielen Erkenntnisse der Wohnbauforschung.

Neue Formen der Nachbarschaft, hochwertige Zwischenräume und Nutzungsmischungen, flexible Grundrisstypologien werden anderorts schon erfolgreich ausprobiert. Warum ist man in Vorarlberg so zögerlich?

Verena Konrad: Der Markt ist konservativ. Er geht von einem stabilen Familienmodell aus und ist damit auch – sicher nicht gewollt, deshalb aber dennoch wirksam – ein starker Impuls. Themen wie eine älter werdende Gesellschaft, eine hohe Scheidungsrate, Familien-Patchwork, u.v.a. lassen sich kaum im Vorarlberger Wohnbau ablesen, so als würde die Realität ausgeklammert. Grund dafür ist vor allem die Marktlogik, dass eine Wohnung leicht wieder vermietet und verkauft werden können soll. Sonderlösungen sind in dieser Logik kontraproduktiv. Grundrisse und Wohnungstypen orientierten sich daher an einem einheitlichen Bild von Familie und Gesellschaft, das es im Alltag zwar gibt, aber eben nicht ausschließlich. Da in Vorarlberg verhältnismäßig wenig gemeinnütziger Wohnbau besteht und errichtet wird und vor allem das persönliche Eigentum fokussiert wird, gibt es daher auch weniger Angebot in diese Richtung.

Mit genossenschaftlichem Wohnen tun wir uns in Vorarlberg besonders schwer...

Verena Konrad: In Vorarlberg ist das Modell der gemeinnützigen Wohnbaugesellschaften präsent. Historisch gibt es hier also eine etwas andere Entwicklung, die das Thema Wohnraumversorgung abdeckt. Das Genossenschaftsmodell ist kleinteilig präsent, vor allem im Bereich des gemeinschaftlichen Bauens und Wohnens. Hier erleben wir gerade eine neue Welle, die sich wie auch schon in der Vergangenheit, auf eine sozial- und wirtschaftspolitische Situation zurückführen lässt. Gemeinschaftliche Wohnmodelle boomen immer dann, wenn es knapp wird.

Der Traum vom Einfamilienhaus ist noch lange nicht ausgeträumt. Viele Menschen konnten an dieser Entwicklung noch nicht teilhaben. So werden nicht nur Häuser vererbt, sondern auch unerfüllte Wünsche.

Verena Konrad

Vorarlberger Architekturinstitut

Obwohl sich der Markt drastisch verändert hat, dominiert noch immer der Wunsch nach einem Einfamilienhaus den Markt. Hängen wir da unter Umständen einer alten Erzählung an, die nie wirklich gestimmt hat. Vorarlberg als „das Land der Häuslebauer schlechthin…“

Verena Konrad: Viele Menschen sehen im Einfamilienhaus eine tradierte Wohnform, dabei ist diese Entwicklung noch recht jung. Vor bis zu 100 Jahren haben die Menschen in Vorarlberg größtenteils in Mehrfamilienhäusern zusammengelebt, konkret als mehrere Haushalte unter einem Dach. Mit dem Wirtschaftsaufschwung und der damit einhergehenden Wohlstandsentwicklung nach dem zweiten Weltkrieg verbreitet sich das Einfamilienhaus. Es wird als Form der Selbstermächtigung, Selbstbestimmung, Emanzipation und Ablösung aus Zwangsgemeinschaften empfunden, als nach außen hin sichtbares Zeichen von Wohlstand und damit als prestigeträchtig. Der Traum vom Einfamilienhaus ist noch lange nicht ausgeträumt. Viele Menschen konnten an dieser Entwicklung noch nicht teilhaben. So werden nicht nur Häuser vererbt, sondern auch unerfüllte Wünsche. Gleichzeitig sehen wir viele negative Auswirkungen dieses Booms. Sie reichen von Zersiedelung, hohem Flächenverbrauch bis hin zu verstärkter Mobilität und sind damit wenig nachhaltig.

Lerneffekte ausständig

Ihnen ist nach eigenen Worten „ein sich ständig wiederholender, architektonisch verarmter Typus der Kleinwohnanlage“ ein Dorn im Auge. Dabei war Vorarlberg doch einmal eine architektonische Pilgerstätte…

Verena Konrad: Das stimmt auch nach wie vor. Die hohe Dichte an qualitätsvollen Einzelbauten ist beeindruckend, daran hat sich nichts geändert. Im Wohnbau, vor allem im verdichteten Wohnbau, galt das nie und gilt es auch heute noch nicht. Das hängt auch mit dem Stand der Urbanisierung insgesamt zusammen. Hier ist jedoch viel im Aufbruch. Die Kleinwohnanlage ist zwar kein Vorarlberger Phänomen, aber doch sehr präsent: sie kommt aus der Kleinteiligkeit der Grundstücke, aus dem Wunsch diese möglichst effizient zu nutzen und dem mangelnden Verständnis, was Stadt, Quartier und Wohnen miteinander zu tun haben. Hier sind sicher noch einige Lerneffekte ausständig, ich würde sagen, sogar notwendig. Der verdichtete Wohnbau könnte sehr viel mehr, für den Einzelnen, aber auch für die Gesellschaft insgesamt, als die Beispiele in Vorarlberg zeigen.

Wie wohnen Sie eigentlich selbst?

Verena Konrad: Ich wohne zur Miete. Lange Zeit mit meinen Kindern in Dornbirn in einer sehr schönen Wohnanlage mit Gemeinschaftsgarten und seit ein paar Jahren in Lochau in einem Haus mit drei Parteien.

Wissen fürs Leben

Verena Konrad: Räume für das Leben
Architektur mit ökologischem und sozialem Anspruch
am 5. 12. 2023, ab 19:30
AK Vorarlberg
Eintritt ist frei

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Bei Wissen fürs Leben erwartet Sie eine Vielfalt an inspirierenden und hilfreichen Gedanken. Alle Termine unserer Vortragsreihe finden Sie hier – wir freuen uns auf Ihre Anmeldung!

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