Protest
Gehör verschafft sich, wer organisiert ist. Betriebsräte sind dafür ein wichtiges Instrument. © Adobe STock, Juan Aunión
22. Oktober 2021
Arbeit

Kollektivvertrag: Gerechte Löhne fallen nicht vom Himmel

Arbeit,Betriebsrat,Gewerkschaft,Lohn,Mitbestimmung,Sozialpartnerschaft,Verhandlung

Kollektivverträge (KV) gehören zu Österreich wie das Wiener Schnitzel und die Lipizzaner. Aber das muss nicht so sein. Gäbe es die Kollektivverträge nicht, sähe die Arbeitswelt düster aus.

Inhaltsverzeichnis

Und wieder geraten sich die Verhandler:innen kräftig in die Haare, hallt der Ruf nach Kampfmaßnahmen durchs Land. Schlussendlich werden die Vertreter von Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen am Ende einer strapaziösen Nacht vor die Kameras treten und einen Kompromiss verhandeln. „Gibst Du mir, geb ich Dir“, so klingt die Grundmelodie der Kollektivvertragsverhandlungen. Seit über 150 Jahren geht das schon so. So lange schon, dass kaum mehr einer Notiz davon nimmt. Das freilich ist ein Problem …

Was ist eigentlich ein Kollektivvertrag?

So wie das saubere Trinkwasser und die reine Luft gehören auch Kollektivverträge in Österreich ins Reich der Selbstverständlichkeiten. Praktisch alle Arbeitnehmer:innen – 98 Prozent – können sich laut OECD auf einen Kollektivvertrag verlassen. Das ist Weltspitze und wird regelmäßig neu mit Leben erfüllt. Derzeit werden in Österreich an die 450 Kollektivverträge, rund 30 Heimarbeitstarife, ein Heimarbeitsgesamtvertrag, eine behördliche Festsetzung der Lehrlingsentschädigung, fünf Satzungen und 30 Mindestlohntarife zwischen Arbeitgeber:innen- und Arbeitnehmer:innenvereinigungen jährlich neu verhandelt. Aber warum eigentlich?


Was wäre die Alternative?

Im Grunde gibt es zwei Möglichkeiten: Arbeitnehmer:innen können sich mit ihrem Betrieb selbst die Spielregeln ausschnapsen, so geht die eine Variante. 50 Prozent der Deutschen müssen das so hinkriegen, denn beim nördlichen Nachbarn stützen sich nur die Hälfte aller Beschäftigten auf eine kollektive Regelung, die dort Tarifvertrag heißt. Manche Firmenleitung ist sich ihrer Verantwortung durchaus bewusst, andere Arbeitgeber:innen regieren nach Gutsherrenart. Ohne den Schutz von Tarifverträgen sind die Belegschaften ihrer Willkür ausgeliefert.

Das hat unmittelbar Auswirkung auf die Löhne. Der Linzer Wirtschaftsgeograf Christof Parnreiter findet in Osteuropa besonders drastische Beispiele. In Polen verdienen Arbeiter ziemlich genau ein Drittel (33,2 Prozent) dessen, was Arbeiter in Österreich verdienen. In Polen sind auch nur noch 15 Prozent der Beschäftigten durch Kollektivverträge geschützt, die restlichen Löhne werden individuell ausgehandelt.

Übergabe des Forderungsprogrammes Metallindustrie & Bergbau am 23. September 2021 in der Wiener Wirtschaftskammer.
Übergabe des Forderungsprogrammes Metallindustrie & Bergbau am 23. September 2021 in der Wiener Wirtschaftskammer. © PRO-GE

Wie sorgen Kollektivverträge für Gerechtigkeit?

Der Zweck des Kollektivvertrags ist es, für eine möglichst große Anzahl von Arbeitnehmer:innen sowie für alle Branchen und Regionen gerechte Lohn- und Arbeitsbedingungen festzulegen.

Kollektivverträge setzen Mindeststandards fest. Die geltenden Gesetze in Österreich verbieten, diese Standards zu unterlaufen. Arbeitgeber dürfen vor allem nicht weniger bezahlen, als im Kollektivvertrag für die jeweilige Branche vereinbart wurde.

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Was genau regelt der Kollektivvertrag?

Der Kollektivvertrag regelt viele Ansprüche, die nicht gesetzlich verankert sind. In den regelmäßig stattfindenden Kollektivvertragsverhandlungen vereinbaren Gewerkschaften und Arbeitnehmer:innen die Lohnerhöhungen und die sozialen Rahmenbedingungen, unter denen Arbeit geleistet wird. Dazu zählen unter anderem:

  • die Sonderzahlungen; Urlaubs- und Weihnachtsgeld werden ausschließlich im Kollektivvertrag geregelt
  • Zulagen und Zuschläge, Prämien, Reisegebühren, Taggelder usw.
  • bezahlte freie Tage, etwa für die Hochzeit oder eine Übersiedelung
  • individuelle Freiräume bei der Arbeitszeitgestaltung
  • die Dienstkleidung
  • integrative Berufsausbildung, die für alle Vertragspartner:innen bindend festgelegt wir

Gesetzlich festgelegte Lohn- und Gehaltserhöhungen gibt es nicht. Auch Weihnachts- und Urlaubsgeld fallen nicht vom Himmel. All das muss regelmäßig neu in Kollektivvertragsverhandlungen festgelegt werden. Die Metaller eröffnen Jahr für Jahr die Herbstlohnrunden. An ihrem Abschluss orientieren sich andere Branchen.

Deshalb sind die Meldungen über gescheiterte Gesprächsrunden und Drohgebärden mehr als nur Begleitmusik. Es geht dabei schließlich um gerechte Löhne und Arbeitsbedingungen für 4,3 Millionen Erwerbstätige in Österreich.

Schon früh erkämpft

Die Entstehung des Kollektivvertrages geht auf die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts zurück. Der Grundstein wurde 1870 durch ein Koalitionsgesetz gelegt, das die Aufhebung der Strafandrohung für Verabredungen und Streiks vorsah. 1896 kam es dann zum Abschluss des ersten umfassenden Kollektivvertrages, Pioniere waren die Buchdrucker.

Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges wurden rund 500 Kollektivverträge unterzeichnet. Während des Krieges waren die Gespräche ausgesetzt, im Dezember 1919 wurde dann Kollektivverträge in Gesetzesform gegossen. Damit war es dann zum Jahresbeginn 1939 durch die Nazi-Diktatur in Österreich wieder vorbei.

Am 26. Februar 1947 wurde schließlich das Kollektivvertragsgesetz der Zweiten Republik aus der Taufe gehoben. Verhandelt werden die Verträge seither zwischen den Sozialpartnern – auf der einen Seite die Arbeitgeber, auf der anderen Seite die Gewerkschaften. Wird keine Einigung erzielt, läuft der bestehende KV weiter – theoretisch. Praktisch war das bisher kaum der Fall, denn bei schleppenden Verhandlungen erhöht die Gewerkschaft den Druck über die Mitarbeiter in den Betrieben. Im Regelfall zuerst durch Betriebsversammlungen und dann durch kurze Warnstreiks, denen dann längere Ausstände folgen können. Das Ergebnis ist dann ein Kompromiss.

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