Katharina Mader
Katharina Mader forscht zu Feministischer Ökonomie, Care-Ökonomie und unbezahlter Arbeit sowie Finanz- und Wirtschaftspolitik. © Markus Zahradnik
19.10.2024
Arbeit

Katharina Mader: „Gleichstellung ist kein Luxusproblem“

Arbeit,Beruf und Familie,Familie,Wissen

Die Ökonomin Katharina Mader analysiert die ungleiche Verteilung unbezahlter Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern und wie sich dies auf berufliche Chancen auswirkt. Im Interview zeigt sie auf, wo die Herausforderungen liegen und wie sie sich lösen lassen.

Frau Mader, Sie beschäftigten sich in Ihren Vorträgen und Publikationen mit der ungleichen Verteilung unbezahlter Sorgearbeit. Welche konkreten Maßnahmen halten Sie für notwendig, um die Last der unbezahlten Arbeit gerechter zu verteilen?

Katharina Mader: Unbezahlte Sorgearbeit ist äußerst ungleich zwischen Frauen und Männern verteilt. Da hat sich auch seit 40 Jahren kaum etwas getan.  Seit 1981, als zum ersten Mal eine Zeitverwendungserhebung durchgeführt wurde, die uns die Schieflage bei der verrichteten Sorgearbeit vor Augen führt, stehen Frauen auf einem Plateau von unbezahlter Arbeit. Damals waren es zwar noch 77 Prozent der unbezahlten Sorgearbeit, die Frauen übernommen haben – heute sind es allerdings immer noch knapp zwei Drittel. Das bedeutet massive Benachteiligungen für Frauen vor allem auch am Arbeitsmarkt. Wer im Schnitt täglich 3 Stunden und 45 Minuten unbezahlte Sorgearbeit stemmen muss, wechselt oftmals von der bezahlten Teilzeitschicht in die zweite unbezahlte Schicht.

Inwiefern könnte eine Väterkarenz oder eine Arbeitszeitverkürzung da helfen?

Katharina Mader: Eine verpflichtende Väterkarenz und eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ermöglichen es, unbezahlte Arbeit zwischen Männern und Frauen fairer aufzuteilen. Wir wissen aus der internationalen Forschung, dass Männer, die länger in Karenz gehen, auch danach deutlich mehr unbezahlte Sorgearbeit verrichten. Eine Arbeitszeitverkürzung ermöglicht es allen – Frauen und Männern – die Zeit zwischen Erwerbsarbeit und unbezahlter Arbeit besser zu verteilen. Die Forschung zeigt uns aber auch, dass hier kein Automatismus besteht. Das bedeutet, eine Arbeitszeitverkürzung, bei der unbezahlte Arbeit nicht thematisiert wird, führt in der Regel dazu, dass Männer mehr Freizeit haben und Frauen weiterhin den Großteil der unbezahlten Sorgearbeit schupfen. Es braucht also auch politische Sensibilisierungsmaßnahmen – die letzte derartige Kampagne gab es 1995 unter der Frauenministerin Helga Konrad.

Was braucht es für eine gerechte Aufteilung der Care-Arbeit?

Katharina Mader: Um die unbezahlte Arbeit fair aufzuteilen, müssen wir aber auch den Ausbau qualitätsvoller sozialer Dienstleistungen ankurbeln: Es braucht ein flächendeckendes, kostenloses Kinderbetreuungsangebot und zwar mit Öffnungszeiten, die Vollzeitarbeit überhaupt zulassen. Aktuell ist außerhalb Wiens nur jeder vierte Kindergartenplatz mit Vollzeitarbeit vereinbar. Weiters wäre eine gut ausgebaute und ausfinanzierte Pflege mit top-ausgebildeten Pflegekräften nicht nur für die Gepflegten selbst, sondern auch für die (großteils weiblichen) pflegenden Angehörigen enorm wichtig.

Wie können Unternehmen aktiv dazu beitragen, dass Frauen auch in Führungspositionen und Vollzeit arbeiten, ohne dass dies zu Lasten ihrer Familienverpflichtungen geht?   

Katharina Mader: Prinzipiell ist es notwendig zu hinterfragen, warum eine Führungsposition nur mit einer Vollzeitarbeit vereinbar scheint. Ob eine Vollzeitarbeit und Chef sein die Familienverpflichtungen eines Vaters belasten, wurde ich auch noch nie gefragt. Das offenbart, wie stark es in der Gesellschaft verankert ist, dass es ja eh logisch ist, dass die Frau die Kinder schupft. Damit es zu Hause funktioniert und man trotzdem Vollzeit erwerbstätig sein kann braucht es meistens eins: Jemanden, der die unbezahlte Arbeit übernimmt. „Papa schafft das Geld ran und die Mama versorgt Kinder und Haushalt“ ist aber ein Modell aus den 1950ern. Da sollten wir eigentlich weiter sein. Wir erwarten von den Frauen, dass sie Vollzeit arbeiten, verlangen aber nicht im selben Atemzug, dass Männer ihren Teil der Sorgearbeit leisten.  

Wie kann da ein Umdenken gelingen?

Katharina Mader: Positiv würden sich männliche Vorbilder auswirken, der Geschäftsführer, der selbst in Karenz gegangen ist und seine männlichen Mitarbeiter dazu motiviert. Oder auch Regelungen, die – so wie in den skandinavischen Ländern – Sitzungen nicht mehr nach 15 Uhr beginnen lassen und Väter dann komisch angeschaut werden, wenn sie nach 16 Uhr noch immer im Büro sitzen und nicht ihre Kinder aus dem Kindergarten abholen. Zurzeit ist genau das ja die Ausnahme.

Und außerhalb vom Berufsleben?

Katharina Mader: Während Unternehmen also Männer dazu motivieren können, mehr Sorgearbeit zu übernehmen, braucht es auf allen Ebenen der Unternehmen eine kritische Masse an Frauen. Dadurch wird es möglich, die Unternehmenskultur auch nachhaltig in Richtung Geschlechtergerechtigkeit zu verändern. Frauenquoten und Frauenförderpläne sind geeignete Instrumente, um der gläsernen Decke entgegenzuwirken, genauso wie dem „sticky floor-Effekt”, also Klebriger-Boden-Effekt, denn Frauen kommen noch immer kaum vom Fleck und bleiben auf den unteren Stufen der Karriereleiter „kleben”. Mit Frauenquoten wird zudem auch weiblichen Vorbildern der Weg geebnet. Job-Sharing, Top-Sharing und andere Formen von Führung in Teilzeit sollten hier jedenfalls auch angedacht werden. All das sind Arbeitszeitmodelle, bei der sich zwei Führungskräfte eine Managementposition teilen. Sie ermöglichen Frauen und Männern nicht nur eine tatsächliche Vereinbarkeit von Karriere und Familie, sie sind auch deutlich produktiver als Einzelpersonen in Vollzeit.

Sie sprechen von der Notwendigkeit einer Lohntransparenz. Welche Schritte sollten Unternehmen setzen, um Gehälter fairer zu gestalten und den Gender Pay Gap zu schließen?

Katharina Mader: Es gibt mittlerweile umfassende Erfahrungen zu Lohntransparenz aus unterschiedlichen Ländern. Schweden, Norwegen oder Finnland haben jeweils eine sehr weitreichende Transparenz, da sie Steuerdokumente als öffentliche Dokumente verstehen und diese transparent zur Einsicht sind. Länder wie Großbritannien und Dänemark haben Lohntransparenz eingeführt, um den Gender Pay Gap zu schließen. Die Erfahrungen aus Dänemark zeigen: In Unternehmen, die Löhne offenlegen mussten, stiegen die Löhne aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – die von Frauen stärker. So haben die untersuchten Unternehmen den Gender Pay Gap um 7 Prozent verringert.

Was genau hat man in anderen Ländern getan?

Katharina Mader:  In Island beispielsweise wurden Equal Pay-Richtlinien eingeführt, wodurch Unternehmen ein transparentes Lohnabrechnungssystem einrichten müssen. Zudem müssen Unternehmen jede Position abbilden, die im Unternehmen ausgeübt wird und bewerten. Gleiche und gleichwertige Arbeit muss sichtbar gemacht werden. Und in einem zweiten Schritt arbeiten Unternehmern heraus, wie individuelle Merkmale Bildung und Leistung entlohnt werden soll und machen das transparent. Wenn Unternehmen dann fair entlohnen und ihren Gender Pay Gap reduzieren, werden sie von einem Sozialpartnergremium zertifiziert. Tun sie das nicht, werden sie sanktioniert und müssen in etwa 500 Euro täglich Strafe zahlen. Daran könnten sich auch österreichische Unternehmen orientieren. Denn um zu wissen, dass man im Vergleich zu den Kolleg:innen zu wenig bezahlt bekommt, muss man erst wissen, was auf den Gehaltszetteln der anderen steht. Transparenz ist da ein wesentlicher Schlüssel.

Inwiefern kann das Beispiel von Vätern, die in Karenz gehen, die Wahrnehmung von Rollenbildern in der Gesellschaft verändern und somit zur Gleichstellung der Geschlechter beitragen?

Katharina Mader: Die internationalen Erfahrungen zu Väterkarenz, vor allem jene mit einer Dauer über zwei Monaten, belegen einen deutlichen Einfluss auf die Verteilung von Kinderbetreuung und Hausarbeit. Und das nicht nur direkt nach der Karenz. Der Effekt zeigt sich auch noch sechs Jahre nach der Geburt des Kindes.  Auch dann übernehmen Väter, die in Karenz waren, deutlich mehr Kinderbetreuung und Hausarbeit. Die ersten Monate nach der Geburt eines Kindes sind wichtig dafür, wie und ob sich Paare die Kinderbetreuung und den Haushalt aufteilen. Und auch dafür, wie Eltern Geschlechterrollen gestalten und ihren Kindern vorleben wollen. Entscheidend ist dabei die Geburt des ersten Kinds. Die Forschung zeigt: So wie sich der Vater beim ersten Kind entscheidet, also in Karenz geht oder nicht, macht er es bei allen weiteren Kindern auch. Oder eben nicht. In Österreich gehen acht von zehn Vätern gar nicht in Karenz, Tendenz sogar sinkend.

Welche Rolle spielt die Politik bei der Förderung von Gleichstellung und der Schaffung von Arbeitszeitmodellen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützen?

Katharina Mader: Es bräuchte zunächst einmal ein tiefgehendes Verständnis von Gleichstellungspolitik. Man muss sie als Querschnittsmaterie anerkennen, die jederzeit mitgedacht werden muss und nicht als Luxusproblem, das man in Krisenzeiten links liegen lässt, wie aktuell in Österreich Usus. Im Zuge einer solchen Gleichstellungspolitik, braucht es ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Es braucht Frauenquoten, es braucht eine Aufwertung der Arbeit (und damit eine bessere Bezahlung) in typischen Frauenbranchen. Es ist schließlich kein Naturgesetz, dass eine Elementarpädagogin weniger bekommt als ein Mechaniker. Es braucht eine verpflichtende Väterkarenz, eine generelle Arbeitszeitverkürzung, genauso wie Sensibilisierungsmaßnahmen zur fairen Verteilung von unbezahlter Arbeit. Es bräuchte aber auch eine vollständige Lohntransparenz, die mit Frauenförderplänen verknüpft ist, um auch die gläserne Decke zu durchbrechen. Denn qualifizierte Frauen dringen auch heute noch kaum in die Top-Positionen von Unternehmen oder Organisationen vor.

Diese gesamtgesellschaftliche Herausforderung braucht also eine gesamtgesellschaftliche Lösung?

Katharina Mader:  Genau. Insgesamt müssen wir konservative Rollenbilder aufbrechen, denn diese behindern sowohl Frauen als auch Männer bei der Entfaltung ihrer Fähig- und Fertigkeiten. Zwei Dinge prägen Österreich maßgeblich: Veraltete Rollenbilder sind nach wie vor in unseren Köpfen einzementiert und es gibt keine Gleichstellungspolitik. Das führt dazu, dass wir in Sachen Gleichstellung kaum vom Fleck kommen. Außerdem: In Österreich wurde 2009 das so genannte Gender Budgeting auf Verfassungsebene festgeschrieben. Im Zuge dessen sind alle politischen Maßnahmen, die mit öffentlichen Geldern verbunden sind, nach ihren Wirkungen auf Frauen und Männer zu analysieren. Ich denke dieses Instrument kann klar machen, warum wir Gleichstellungspolitik brauchen, entsprechende Maßnahmen anstoßen und ein Monitoring und Controlling aller Gleichstellungsbestrebungen in Österreich ermöglichen.

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