14.5.2025
Arbeit
30 Jahre verschlafen: Warum Österreich die Alten braucht und ihre Arbeitskraft verspielt
Arbeit,Arbeitsklima,Arbeitskultur,Gesellschaft,Pension,Sozialstaat
Die Babyboomer verlassen den Arbeitsmarkt – jetzt rückt die Generation der Älteren in den Fokus. Doch wie soll das funktionieren? Die Finnen erkannten das Problem schon in den 1980er-Jahren und steuerten entschlossen dagegen. Der Arbeitswissenschaftler Prof. Dr. Heinrich Geissler brachte den Architekten dieses Erfolgs, Prof. Juhani Ilmarinen, zur AK Vorarlberg. Alternsgerechtes Arbeiten ist seit Jahrzehnten unser Thema.
Aber wie lange kann ein Mensch arbeiten? Geissler selbst ist 72 und hat gerade ein neues Projekt übernommen, das ihn die nächsten zwei Jahre fordern wird. Seine Bedingungen stimmen: Er teilt sich die Zeit selbst ein und arbeitet an dem, was ihm Freude bereitet. Der Rahmen passt.
In diesem Artikel:
- Das Problem lange verdrängt
- Wie Finnland vor 40 Jahren
- Ein neues Altersbild
- Erfolg durch klare Massnahmen
- Österreich hat Zeit verloren
- Die Jungen sind zu wenige
- Jetzt handeln
Was sind gute Arbeitsbedingungen?
"Gute Arbeitsbedingungen" – das sagt sich so leicht. Die AK befasst sich eingehend mit der Frage, was wirklich damit gemeint ist.
Das Problem lange verdrängt
„Alternsgerechtes Arbeiten“ nennt die Wissenschaft das Konzept. In der Politik wird der Begriff heute wie ein Goldnugget herumgereicht, obwohl die Lösungen längst bekannt sind. „Nur wollte sie kaum jemand sehen“, sagt Geissler. Der Demografie-Experte berät Unternehmen, wie sie ihre Mitarbeiter:innen länger und gesünder im Betrieb halten können. Sein Wissen prägt seit Jahren die Arbeit der AK Vorarlberg. Doch die Politik war lange taub. Wie beim Klimawandel gilt: Erst wenn die Krise vor der eigenen Tür steht, setzt allmählich ein Umdenken ein.
Finnland als Vorbild
Die Finnen standen in den 1980er-Jahren an einem Wendepunkt: Das Land alterte schneller als die meisten OECD-Staaten, und der demografische Wandel machte sich bemerkbar. Gleichzeitig wandelte sich Finnland von einer rohstoffbasierten Wirtschaft zu einem Technologiestandort. Die Folgen: Die Arbeitslosenquote der 55- bis 64-Jährigen lag bei über 20 Prozent, und die Zahl der Vorruheständler stieg. Das belastete die sozialen Sicherungssysteme erheblich. Klingt vertraut? Genau hier steht Österreich heute.
Heute liegt die Arbeitslosenquote älterer Beschäftigter in Finnland bei nur noch 7,3 Prozent. Auch die Langzeitarbeitslosigkeit ist rückläufig, und das durchschnittliche Renteneintrittsalter stieg seit 1995 auf 64,75 Jahre. Die Finnen können ihren Renteneintritt flexibel zwischen 63 und 68 Jahren gestalten. Doch wie gelang Finnland diese Trendwende?
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Ein neues Altersbild
Zunächst setzten sich Ministerien, Sozialpartner, das finnische Institut für Arbeit und Gesundheit (FIOH) und andere gesellschaftliche Akteure gemeinsam an einen Tisch – ein bewährter Ansatz in Finnland. Sie erkannten zwei zentrale Hebel: Erstens müssen ältere Menschen altersgerecht beschäftigt werden, und zweitens braucht es ein positives Altersbild in der Gesellschaft.
Von 1997 bis 2002 starteten die Finnen das „Finnish National Programme for Aging Workers“ (FINPAW). Es bot Unternehmen maßgeschneiderte Pläne, um die Leistungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer:innen zu erhalten, Berufsbiografien anzupassen und den Arbeits- und Gesundheitsschutz zu verbessern. Besonders Erwachsene mit geringer Schulbildung wurden durch Umschulungen und praxisnahe Fortbildungen gefördert. Doch die Finnen beließen es nicht bei Absichtserklärungen – sie schufen klare gesetzliche Vorgaben.
„In Finnland gibt es seit Langem ein Gesetz zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit“, erklärt Geissler. „Wenn jemand wegen schlechter Arbeitsbedingungen früh in Pension geht – sagen wir, zehn Jahre vor dem regulären Pensionsalter –, muss das Unternehmen diese zehn Jahre Pension in die Kasse nachzahlen. Das motiviert, Arbeitsbedingungen zu verbessern. “
»Die Alten sind nicht das Problem – sie haben genug eingezahlt. Das Problem ist die ,Unterjüngung‘ der Gesellschaft.«
Prof. Heinrich Geissler
Arbeitswissenschaftler
Erfolg durch klare Maßnahmen
Das FINPAW-Programm setzte 40 konkrete Maßnahmen um, darunter
- Langfristige Informationskampagnen, um Vorurteile gegenüber älteren Beschäftigten abzubauen,
- Forschungsprojekte, die gute Praxisbeispiele für betriebliche Gesundheitsförderung sammelten,
- Ausbildungsprogramme für Führungskräfte, Personalverantwortliche und Sicherheitsbeauftragte,
- Gesetzliche Verpflichtungen, die das Altern in den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz einbinden,
- Änderungen im Pensionssystem und bei Rehabilitationsmethoden,
- Monitoringsysteme wie „Erfolgsbarometer“,
- Neue Dienstleistungen der Arbeits- und Arbeitnehmerschutzbehörden zur Unterstützung der Betriebe.
Die Ergebnisse sprechen für sich: Zwischen 1998 und 2004 stieg die Beschäftigungsrate der über 55-Jährigen um mehr als 14 Prozent. Das effektive Renteneintrittsalter erhöhte sich von 1995 bis 2006 um 1,2 Jahre.
Österreich hat Zeit verloren
Wenn Österreich dem Arbeitsbewältigungsindex jetzt endlich Beachtung schenkt, kommt das spät. „Es ist schon viel schiefgelaufen“, sagt Geissler. „Wir haben die Demografie-Frage erst Mitte der 90er-Jahre erkannt – das ist 30 Jahre her. Und bis heute nehmen wir sie nicht ernst. “
Seiner Meinung nach hat man es versäumt, die Arbeitswelt so zu gestalten, dass die Babyboomer gesund bis zum Pensionsalter arbeiten können. Viele scheiden krankheitsbedingt vorzeitig aus – kein Zufall. Nun gehen die Babyboomer und nehmen ihr Wissen mit.
Die Jungen sind zu wenige
„Wir haben kein Überalterungsproblem“, betont Geissler. „Die Alten sind nicht das Problem – sie haben genug eingezahlt. Das Problem ist die ,Unterjüngung‘ der Gesellschaft. “ Früher kamen drei Erwerbstätige auf einen Pensionisten, heute sind es nur noch 1,5 – Tendenz fallend.
Hinzu kommt, dass die Jungen kein gutes Vorbild hatten. „Viele sagen heute: So wie mein Vater, der immer arbeitete und nie da war, will ich nicht werden. Und wer könnte es ihnen verübeln? “ Sie lehnen Vollzeitjobs ab und setzen auf andere Werte.
Jetzt handeln
Damit die heute 40-Jährigen in zehn Jahren mit 50 noch leistungsfähig sind, muss jetzt gehandelt werden. „Ein alternsgerechtes Arbeiten erfordert langfristige Pflege von Gesundheit, Ausbildung und Kompetenz sowie eine leistungsgerechte Gestaltung der Arbeit“, betont Geissler. Dafür braucht es einen ernsthaften Schulterschluss von Politik, Arbeitgebern und Arbeitnehmern.
Das Arbeitsinspektorat zur alternsgerechten Arbeit
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