WWF Österreich
Volker Hollenstein ist überzeugt: „Eine intakte Natur ist auch unser bester Verbündeter gegen die Klimakrise.“ © WWF Österreich
16. August 2021
Soziales

Klimafreundliches Verhalten muss auch belohnt werden

Gesellschaft,Interview,Klimawandel,Steuern

Der gebürtige Lustenauer Volker Hollenstein arbeitet seit 2017 beim WWF Österreich. Heute leitet er den Bereich Politik und Strategie. Klimafreundliche Maßnahmen müssen in seinen Augen auch Anreize beinhalten, da sieht er die Politik in der Pflicht. Das angekündigte Klimaschutzgesetz wird zeigen, wie ernst es den Verantwortlichen wirklich ist. Die Zeit drängt.

Geht es weiter wie bisher, drohen in Österreich bis Ende des Jahrhunderts fünf Grad mehr Durchschnittstemperatur. Was bedeutet das konkret für Vorarlberg?

Volker Hollenstein: Das bedeutet zum Beispiel, dass Extremwetterereignisse zunehmen werden. Wir werden mehr Hitzeperioden und Dürren erleben, aber auch Hagelunwetter, Stürme und Starkregen mit den damit verbundenen Hochwasserkatastrophen. Muren werden in Vorarlberg zunehmend ein Thema werden, aber auch die Hochwassergefahr am Rhein, wo Vorarlberg für tragfähige Lösungen auch auf andere Länder angewiesen ist.

Tatsächlich trifft die Klimakrise alle Lebens- und Arbeitsbereiche, wie wir das europaweit in diesem Sommer sehr stark gespürt haben. Wir müssen uns auch darauf einstellen, dass sich Schädlinge ausbreiten und heimische Arten, die sich nicht rasch genug anpassen können, aussterben könnten. Waldbrände werden öfter wüten und ganze Ernteerträge in Gefahr sein.

Für den Tourismus sehen wir Effekte, wie sie zuletzt die ZAMG geschildert hat: niedriggelegenen Schigebieten wird noch öfter der Schnee fehlen. Sie werden neue naturverträgliche Strategien brauchen, um zu überleben. 

Worauf muss sich der Tourismus einstellen?

Hollenstein: Gerade, wenn man auf Qualitätstourismus setzt, werden die Anforderungen an einen klima- und naturfreundlichen Tourismus steigen: von der klimafreundlichen Anreise bis zur Infrastruktur und den Angeboten vor Ort. Weiterhin Speicherteiche ins Hochgebirge betonieren und immer noch mehr Skipisten bauen, das wäre jedenfalls der falsche Weg.

Den überfälligen Wandel kann man freilich nicht allein der Branche aufbürden, sie wird die Unterstützung der Politik benötigen. Wir alle sind gefordert, mit der Natur zu wirtschaften und nicht gegen sie. 

Der Spaß auf der Piste braucht halt Platz: Für ein Skigebiet wird in Zürs Erdreich abgetragen.
Der Spaß auf der Piste braucht halt Platz: Für ein Skigebiet wird in Zürs Erdreich abgetragen. © Christian Lendl

Wie wirkt sich der Klimawandel auf Arbeitsplätze aus?

Hollenstein: Da wird sich viel verändern. Nur ein paar Beispiele: Die Dämmung und Kühlung der Büros muss klimafitter werden. Es braucht mehr Begrünungen auf den Dächern und an den Fassaden. Gerade Menschen, die im Freien arbeiten, müssen künftig besser geschützt werden.

Was passiert, wenn die Hitze zu groß wird? Da braucht es bessere Regelungen im Arbeitsrecht. Die Städte und Gemeinden müssen mehr Grünräume bekommen, um nicht zu Hitzeinseln zu werden. Wir müssen verstärkt entsiegeln statt versiegeln. Und auch hier gilt: Ein paar Alibi-Bäume zu pflanzen, das reicht längst nicht mehr. 

Wie schätzen Sie die Umsetzungskraft der Klimapolitik in der Österreichischen Regierung in Anbetracht des neuesten IPCC-Reports ein? Wer übernimmt Verantwortung?

Hollenstein: Aus meiner Sicht müssen beide Regierungsparteien Verantwortung übernehmen, müssen sich alle Ministerien verantwortlich fühlen. Klimaschutz ist eine Querschnittsmaterie. Sie berührt alle Bereiche, genauso die Landwirtschaft wie die Gewässerpolitik und Finanzpolitik. 

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Aber woran mangelt es dann? Die in internationalen Abkommen fixierten Ziele verpasst Österreich seit langem. Was muss geschehen, dass wir uns nicht im Sommer 2022 erneut verwundert die Augen reiben, um nach einem kurzen Schock wieder zur Tagesordnung überzugehen?

Hollenstein: Wir brauchen einen grundlegenden Wandel in der Gesellschaft. Über Jahrzehnte hinweg hatten wir in Österreich eine Mischung aus Klientel- und Wohlfühlpolitik, gepaart mit dem Versuch der Regierungen, die Verantwortung auf die Bevölkerung abzuwälzen: So nach dem Motto, jetzt braucht es die größte Mitmachpolitik aller Zeiten. Aber das ist nur in Ansätzen richtig.

Tatsächlich fehlen sehr oft die Voraussetzungen, damit sich die Menschen klimafreundlicher verhalten können. Die Politik hat den größten Hebel, diese Dinge voranzubringen. Gewiss, sie muss die Bevölkerung mitnehmen, aber sie muss vor allem einen klimagerechten Rahmen schaffen und auch für einen sozialen Ausgleich sorgen. Dafür ist sie zuständig. Das ist ihr Job.

Die Veröffentlichung des UN-Klimaberichts hat Österreichs Aufmerksamkeit erneut auf das Klimaschutzgesetz gelenkt, das jetzt vorangetrieben werden soll. Es ist tatsächlich längst überfällig. Was muss zwingend drinstehen, dass unterm Strich mehr als Kosmetik betrieben wird?

Hollenstein: Die bisherigen Regelungen waren ziemlich planlos. Obwohl unsere CO₂-Bilanz relativ schlecht ist, hatte das über Jahrzehnte hinweg keine Konsequenzen. Jetzt braucht es einen strikten Reduktionsplan und ein Sofort-Programm, wenn die Ziele verfehlt werden. Die Kompetenzen und Zuständigkeiten müssen zwischen Bund und Ländern klar geregelt werden, alle müssen mitmachen.

Wir merken ja rund um die aktuelle Evaluierung kritischer Projekte, wie sehr die Länder im Straßenbau noch immer eine autozentrierte Verkehrspolitik verfolgen. Auch die Baustandards sind vielerorts nicht mehr auf dem letzten Stand der Technik, Wohnbaugelder werden nicht stark genug zur thermischen Sanierung verwendet… Zu all diesen Fragen haben wir ein detailliertes Paket vorgeschlagen.

Könnte/sollte ein Teil davon sein, schützenswerte Gebiete mit mehr Rechten auszustatten oder genügen die rechtlichen Mittel, wie sie derzeit sind?

Hollenstein: Es braucht fraglos Verbesserungen. Naturschutz muss ganzheitlich gesehen werden, nicht zuletzt, weil eine intakte Natur unser wichtigster Verbündeter gegen die Klimakrise ist. Intakte Wälder speichern große Mengen von CO₂. Sie sind viel widerstandsfähiger als Monokulturen. Die notwendige Umstellung muss man auch für Waldbesitzer attraktiver machen. Wäre zusätzlich die Klimaschutzfunktion von Naturwäldern verbindlich im Forstgesetz verankert, würde das ihren Stellenwert deutlich heben.

Das lohnt doch jede Mühe: Ein Stück unberührter Natur am steirischen Dürrenschöberl nahe Admont.
Das lohnt doch jede Mühe: Ein Stück unberührter Natur am steirischen Dürrenschöberl nahe Admont. © Karin Enzenhofer

Haben wir überhaupt genug Naturschutzgebiete?

Hollenstein: Wir sollten mehr Gebiete schaffen. Um deren Qualität zu steigern, braucht es aber auch vernünftige Managementpläne. Nur so kann der Schutz auch garantiert werden. Sonst wird es weiterhin der Fall sein, dass unter bestimmten Auflagen halt doch gebaut werden darf oder Moore doch angegriffen werden dürfen. Da wird viel zu oft mit Ausnahmegenehmigungen  gearbeitet. Unabhängig davon brauchen wir einen übergeordneten Bodenschutzvertrag, denn Österreich liegt beim Bodenverbrauch derzeit um das Vierfache über den selbst gesteckten Nachhaltigkeitszielen.

Parkplatz vor einem Fachmarktzentrum: Versiegelter Boden ist vom Kreislauf aus Bodenbildung, Grundwasserversickerung, Pflanzenwachstum abgeschnitten.
Parkplatz vor einem Fachmarktzentrum: Versiegelter Boden ist vom Kreislauf aus Bodenbildung, Grundwasserversickerung, Pflanzenwachstum abgeschnitten. © Christian Lendl

Gibt es ein Recht der Menschen auf unversehrte Natur?

Hollenstein: Ideell auf jeden Fall. Eine Lehre aus der Pandemie sollte ja sein, dass wir unser Verhältnis zur Natur grundlegend überdenken. Es gilt, einen Ansatz zu finden, der uns schützt und auch der Natur zugutekommt. Zu Beginn der Pandemie lautete das Motto der Bundesregierung „Koste es, was es wolle“.

Aber der Großteil der Hilfsgelder ist nicht an Klima- und Naturverträglichkeit geknüpft worden.  Jetzt müssen wir uns als Gesellschaft langfristig aufstellen. Wir müssen aus der Krise lernen, dass klimaschädliche Emissionen, das Sterben der Arten, dass unser eigenes Verhalten die Wahrscheinlichkeit weiterer Pandemien erhöht. Wir brauchen überall ökosoziale Weichenstellungen. 

… und damit auch eine Steuerreform, die künftig eine emissionsträchtige Lebensweise teurer macht. Wie lässt sich so eine Reform ausgestalten, damit nicht diejenigen zum Handkuss kommen, die es sich nicht leisten können?

Hollenstein: Es braucht auf jeden Fall ein Gesamtpaket. Es muss an allen verfügbaren Schrauben gedreht werden. Klimafreundliches Verhalten muss belohnt werden, deshalb schlagen wir zum Beispiel einen Öko-Bonus für alle Haushalte vor. Der Spielraum für budgetäre Umschichtungen wäre definitiv vorhanden. Schließlich verschwenden wir jährlich bis zu fünf Milliarden Euro für umweltschädliche Subventionen, zum Beispiel für das Diesel-Privileg. 

Noch immer setzen viele Menschen Maßnahmen für den Klimaschutz automatisch dem mit Verlust an Lebensqualität gleich. Die Vorzeichen in den Köpfen der Menschen müssen sich ändern. Wie kann das gelingen?

Hollenstein: Den größten Hebel hat die Politik. Sie muss Anreize schaffen und für sozialen Ausgleich sorgen. Sie muss ehrlich kommunizieren und keine Nebelgranaten abfeuern. Sie muss viel stärker klarmachen, dass es um uns alle geht. Dabei reden wir von einer Luft, die sauberer ist, von einer neuen Mobilität, um leichter von A nach B zu kommen. Es gibt so viele positive Anreize, die sich lohnen würden.

Dennoch wird es Menschen noch immer schwer gemacht, weil etwa öffentliche Verkehrsangebote hinterherhinken. Da gäbe es noch viel Potenzial. In Vorarlberg ist schon viel passiert. Und dennoch fehlt zum Beispiel entlang der Zellgasse und der Höchsterstraße von Lustenau nach Dornbirn übers Ried noch immer ein echter Radweg… 

Bis 2040 soll Österreich dem Regierungsprogramm zufolge klimaneutral sein. Ist das Ziel noch erreichbar?

Hollenstein: Definitiv. Aber die notwendigen Gesetze müssen rasch beschlossen werden. Wir müssen möglichst rasch raus aus Erdöl und Erdgas, rasch mehr Energie einsparen und erneuerbare Energien naturverträglich ausbauen. Zusätzlich müssen wertvolle Grünräume besser geschützt werden. Eine intakte Natur ist auch unser bester Verbündeter gegen die Klimakrise.

Zur Person:

Volker Hollenstein
Leitung Politik und Strategie WWF Österreich

  • Alter: 41 Jahre
  • Ausbildung: Politikwissenschaftstudium in Innsbruck
  • Laufbahn: Journalist; Pressesprecher im Wissenschafts-, Forschungs- und Wirtschaftsministerium
  • Familie: verheiratet
  • Hobbys: Rennradfahren, Laufen

AK für sozial gerechte CO₂-Steuer

Die AK Vorarlberg fordert eine sozial gerechte CO₂-Steuer auf fossile Energieträger für alle. Denn gerade kleine und mittlere Einkommen werden durch die Bepreisung von fossilen Treib- und Heizstoffen relativ stärker belastet. Deshalb schlägt die AK Vorarlberg vor, dass die Einnahmen aus der CO₂-Steuer zum einen an private Haushalte zurückerstattet werden und zum anderen in Projekte für CO₂-arme Energieversorgung und Mobilität investiert werden, die für Haushalte mit niedrigen Einkommen zugänglich sind.

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