Internet-Troll
Trolle suchen nach Aufmerksamkeit. Das Beste ist, man ignoriert sie. © Adobe Stock, Victor Moussa
06. August 2021
Soziales

Respekt und Anstand

Gesellschaft,Kommentar

Macht uns das Internet zu Rüpeln? Haben wir in der Einsamkeit des Homeoffice den pfleglichen Umgang mit anderen verlernt? Lautet die allgemeine Devise wirklich „jeder für sich (und Gott mit uns allen)“?

Ein Kommentar von Thomas Matt

Früher roch der Ruf nach mehr Respekt altmodisch wie Bohnerwachs und Streuselkuchen, heute tönt er eindringlich in eine Welt, die allmählich an sich selbst irre wird.  

Zuletzt las der Bundespräsident den Spitzen der Politik die Leviten. Er mahnte Anstand und ordentliche Umgangsformen ein. Das tat er mit anschaulichen Bildern: „Niemand wird Sie verhaften, wenn Sie beim Essen die Füße auf den Tisch legen“, sagte Alexander Van der Bellen, „aber tun Sie es lieber nicht.“ Die Szene hätte besser in den sonntäglichen Benimmunterricht eines Internats der 1970er Jahre gepasst – mit feixenden Lausbuben vor dem erbosten Erzieher. Aber hier sprach der Präsident zur vermeintlichen Elite.  

Angesprochen fühlen durften sich getrost alle Bürgerinnen und Bürger. Denn dass es Politiker zunehmend an gutem Beispiel fehlen lassen, erklärt noch nicht die überhitzte Atmosphäre dieser Tage.

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Leider unsachlich: Diskussionen auf Social Media enden schnell in Angriffen. © AK Vorarlberg

Eine junge Frau auf Jobsuche spricht mit den Zeugnissen unterm Arm hoffnungsfroh vor und erfährt von einer achselzuckenden Mitarbeiterin des Unternehmens, dass die Stelle schon vor Wochen vergeben wurde. Es hatte niemand für wichtig erachtet, die Jobanzeige wieder aus dem Netz zu nehmen.  

Ein paar Freunde verabreden sich in einem neuen Lokal. Statt sie zu begrüßen, teilt ihnen der Kellner ansatzlos mit, dass sie mit Essen nicht zu rechnen hätten, weil man eine größere Gesellschaft bewirten müsse, und überhaupt wäre es ihm erkennbar lieber, wenn sie wieder gehen würden.  

Ein banales Wortgefecht an der Supermarktkassa gipfelt um ein Haar im Ohrfeigenwechsel. Das Gespräch über die mögliche Impfpflicht mündet unweigerlich in der ausweglosen Sackgasse und beendet eine Freundschaft. Die Mittagshitze im kleinen Stau, der in Wahrheit nicht der Rede wert ist, bringt manche Gemüter offenbar so zum Kochen, dass ein Wagen unversehens ausschert und den Bus zur Notbremsung zwingt. Was ist los mit uns? Ist das alles auch im übertragenen Sinn eine Form von „Long Covid“? 

Sonderbar wirkt es schon: Als die Krise noch jung war und alle vor den Kopf stieß, ging eine Welle von Solidarität und Hilfsbereitschaft durchs Land. Jetzt, wo die Pandemie endlich bewältigbare Züge zeigt, werfen wir die Nerven weg. Dabei wäre gerade jetzt die Erkenntnis nötig, die uns im März 2020 noch vereint hat: Wir sitzen alle im selben Boot und sollten mit dem Schaukeln aufhören.

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