Simon Berkler ist weit davon entfernt, die kapitalistische Marktwirtschaft in Bausch und Bogen zu verdammen. „Mir ist völlig egal, wie Sie das Kind nennen: Ökosozial, kapitalistisch, … es geht nur darum, dass Wirtschaft das Wohl aller zum Ziel haben muss.“
Simon Berkler ist weit davon entfernt, die kapitalistische Marktwirtschaft in Bausch und Bogen zu verdammen. „Mir ist völlig egal, wie Sie das Kind nennen: Ökosozial, kapitalistisch, … es geht nur darum, dass Wirtschaft das Wohl aller zum Ziel haben muss.“ © Lucas Breuer, Tage der Utopie
10.4.2025
Bildung

Mit neuen Spielregeln zu einer lebensdienlichen Wirtschaft

Arbeit,Arbeitskultur,Bildung,Gesellschaft,Klimawandel,Konsum,Mitbestimmung,Nachhaltigkeit,Wissen

Nachhaltigkeit ist die halbe Miete. Für Simon Berkler führt nur regeneratives Wirtschaften in eine bessere Welt. Bei den „Tagen der Utopie“ erzählte er, wie das gehen kann.

Die AK Vorarlberg ist Partner der „Tage der Utopie“. 2025 haben wir Simon Berkler begleitet. Das ist ein umtriebiger Geist. Berkler war schon so ziemlich alles: Angestellter, Führungskraft, Geschäftsführer, Entrepreneur, HR-Verantwortlicher… Seit mehr als 20 Jahren berät er Unternehmen. Das tut er mit dem 65-köpfigen Team von „TheDive“ recht unkonventionell. Würden Sie die Spielregeln ändern, während man spielt? Das wagt keiner. Und doch rät Simon Berkler genau dazu. Wollen wir nicht mit dem alten Wirtschaftsmodell untergehen, müssen wir den regenerativen Wandel „bei offenem Herzen“ wagen. 

Regenerative Wirtschaft

Das Magazin Neue Narrative klärt auf: So führt Selbstorganisation in eine regenerative Wirtschaft.

Wir schauen auf die Welt und sind besorgt. Auf dem Weg nach Götzis berichtet der Radiosprecher, dass die USA jetzt stark auf Kohle setzen. Schon wieder Trump! Von der Großleinwand in der Kulturbühne AmBach strahlen wenig später weitere Gründe zur Besorgnis: Der Globale Norden verbraucht derzeit drei, die USA fünf und Katar acht Erden pro Jahr. Die Recyclingrate lag 2023 bei 7,2 Prozent, fünf Jahre zuvor noch bei 9,1 Prozent. Sie schrumpft. Der Mensch verwüstet die natürlichen Ökosysteme, die ja seine Heimat sind, in einer Tour. Sein Überleben steht auf dem Spiel, das der anderen Lebewesen sowieso. Um Beispiele ist Simon Berkler  nicht verlegen. Der studierte Medienwissenschaftler aber hält nach Kräften dagegen. Seit 2015 bietet er in Berlin mit dem Beratungsunternehmen „The Dive“ Organisationsentwicklung „für eine lebensdienliche Wirtschaft“ an. 

Vision einer besseren Welt

Es treibt ihn die Vision von einer Lebenswelt an, in der Unternehmen die Welt schöner und lebendiger machen und nicht zerstören. Als systemischer Organisationsentwickler begleitet der Praktiker mittlere und große Unternehmen bei ihren jeweiligen Innovationsprozessen. Die kapitalistische Binsenweisheit, wonach „ein erfolgreiches Unternehmen eines ist, das schwarze Zahlen schreibt und seinen Shareholdern eine gute Rendite ermöglicht“, legt er ad acta. Der Planet Erde sitzt bekanntlich nicht in der Aktionärsversammlung…

Leitdfaden für den Wandel

2015 hat Simon Berkler nach einer systemisch-integralen Ausbildung und einer einjährigen Auszeit die Transformationsberatung „TheDive“ mitbegründet.

Wirklich eine gute Zeit zum Wandel?

Doch kommt der Aufruf zum Wandel nicht denkbar ungelegen? Haben wir nicht gerade andere Dinge zu tun, als das Klima zu retten? In Europas Osten tobt der Krieg, an den Börsen der Welt inzwischen auch. Den Unternehmen schwimmen die Gewinne davon. Eine Wirtschaft aber, die ihre Absatzmärkte hinter monströsen Zollschranken verliert, geht vor die Hunde. Denn sie muss wachsen. So lautet das Credo der kapitalistischen Marktwirtschaft: Wenn der Markt nur stagniert, heißt das schon Rückschritt. Das kostet Arbeitsplätze. Jobsuchende aber können sich die neuesten Trends nicht leisten. Der Konsum bricht ein. So sieht er aus, der Anfang vom Ende.

Was soll denn da wachsen?

Simon Berkler kennt diese Szenarien gut. Er spricht lieber vom Anfang des Wandels. Die Zeit mag unübersichtlich sein, aber sie ist in seinen Augen ideal dazu, „die Welt neu zu denken“. Und Stichwort Wachstum: „Man darf ja mal fragen, was da eigentlich wachsen soll?“ Solche Fragen rühren am Allerheiligsten, dem Bruttoinlandsprodukt (BIP). Es misst unbestechlich die wirtschaftliche Leistung einer Volkswirtschaft. Mit anderen Worten: „Auch, wenn ein Auto gegen einen Baum kracht, wächst das BIP. Denn der Wagen muss repariert werden, der Fahrer braucht ärztliche Hilfe.“ Man darf sich mit Berkler schon fragen, ob so eine Messung wirklich viel Sinn hat.


»Ein zukunftsfähiges und hilfreiches Wirtschaftssystem stellt die Versorgung aller Menschen auf diesem Planeten sicher und steht gleichzeitig im Einklang mit den unverhandelbaren Prinzipien des Lebens.«

Simon Berkler

Transformationsberater


Ein praktischer Reiseführer

Gemeinsam mit Ella Lagé hat Berkler deshalb 2024 einen 360 starken Wegweiser verfasst, der Organisationen und Unternehmen helfen soll, den Weg zum regenerativen Wirtschaften zu beschreiten. Es geht nicht (nur) um Nachhaltigkeit. Mit den (noch) vorhandenen Ressourcen nachhaltig umzugehen, das reicht längst nicht mehr. Ziel muss ein regeneratives Wirtschaftssystem sein. Was das ist? „Ein zukunftsfähiges und hilfreiches Wirtschaftssystem stellt die Versorgung aller Menschen auf diesem Planeten sicher und steht gleichzeitig im Einklang mit den unverhandelbaren Prinzipien des Lebens. Es trägt aktiv zur Gesundheit des Planeten und seiner Lebewesen bei.“ Große Töne! Aber Berklers Transformationsbaukasten hilft dabei, nachhaltiges und regeneratives Handeln in der gesamten Organisation zu verankern. Oft genug geht die Initiative nicht von der Chefetage, sondern von kleinen Teams im Unternehmen aus, den Kolleg:innen der Buchhaltung etwa, die gemeinsam Akzente setzen wollen, weil ihnen die Umwelt nicht (mehr) egal ist. Der „Stellar Approach“ gibt ihnen ganz konkrete Methoden zur Hand.

Der "Stellar Approach" bietet einen umfassenden Werkzeugkoffer für den Weg zur regenerativen Wirtschaft.
Der "Stellar Approach" bietet einen umfassenden Werkzeugkoffer für den Weg zur regenerativen Wirtschaft. © Thierry Wijnberg, TheDive

Das methodische Spektrum reicht von systemisch-integralen Formaten über agile Methoden bis hin zu Achtsamkeitspraxis und Tai Chi. Gleichzeitig versteht sich Berklers Agentur „TheDive“ als Knotenpunkt in einer wachsenden Gemeinschaft von Gleichgesinnten und trägt mit Projekten und Veranstaltungen aktiv zur Vernetzung bei. Zum TheDive-Netzwerk gehören Organisationsberater, Leadership Coaches, Innovatoren aus der Start-up- und Social Impact-Welt, sowie Experten für Körperarbeit, Persönlichkeitsentwicklung und anderen Bereichen. 

Die Welt steht an einem Scheidepunkt. Noch will das Alte nicht weichen. Berkler ist weit davon entfernt, die kapitalistische Marktwirtschaft in Bausch und Bogen zu verdammen. „Mir ist völlig egal, wie Sie das Kind nennen: Ökosozial, kapitalistisch, … es geht nur darum, dass Wirtschaft das Wohl aller zum Ziel haben muss.“ Er unterstreicht, „dass unsere gegenwärtige Spielart“ sich überlebt hat. Salopp formuliert, erholt sich die Erde gerade im Klimawandel vom Menschen. Erkennen wir die Botschaft nicht rechtzeitig, werden wir den Prozess nicht überleben. Berkler spricht an diesem Abend auch über den Tod. Denn in seinen Augen ist es auch notwendig, das alte System „mit Würde zu verabschieden“. Wir brauchen eine Hospizbegleitung für die alte Form des Wirtschaftens, diese Forderung findet viel Anklang. Wir brauchen aber auch Mut, Gestaltungsfreude und Ausdauer für den Neuanfang.

Wie Organisationen zum regenerativen Wandel beitragen
Der deutsche Internetanbieter Windcloud betreibt Rechenzentren mit erneuerbarem Strom und nutzt die Abwärme für ein zweites Standbein, eine Algenfarm.
Die Carl-Zeiss-Stiftung investiert aktiv in die Umgebungssysteme der beiden Stiftungsunternehmen Zeiss und Schott. Die Stiftung fördert die Wissenschaft, die Dividenden werden zu einem erheblichen Teil in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik investiert.
Der Schuhhersteller Wildling im Bergischen Land pdouziert Minimal- bzw. Barfußschuhe und setzt auf Vielfalt bei Produkten, Materialien und Perspektiven.
Die Bau- und Immobilienbranche schafft nicht nur Wohnraum, sie verursacht auch viel Abfall und Schadstoffe. Wenn ältere Gebäude als Materiallager für neue dienen, hilft das enorm. Das Berliner Start-up Concular sorgt dafür, dass alle Akteure der Bau- und Immobilienbranche einen solchen Kreislauf-Ansatz verwenden.
Der französische Autokonzern Renault hat aus der Krise eine Tugend gemacht: Ihre größte Fabrik in Frankreich haben die Autobauer zu einem zirkulären Ökosystem umgestaltet – das einzige der Automobilbranche in Europa. Ein Bericht der Neuen Zürcher Zeitung.



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