3.9.2024
Bildung
Hoffen ist die Antwort auf die menschliche Verletzlichkeit
Wissen,Wissen fürs Leben
Lange war sie totgeschwiegen. Jetzt taucht die Hoffnung in der Philosophie wieder auf. „Zu Recht“, findet Barbara Schmitz, die an der Universität Basel unterrichtet. Denn „man hofft nie genug“.
In diesem Beitrag
Was ist das überhaupt, Hoffnung? Ist sie ein Gefühl wie die Freude, eine Einstellung, eine Tugend, eine Stimmung wie die Niedergeschlagenheit? Oder manchmal dies, manchmal jenes? Die US-amerikanische Dichterin Emily Dickinson beschrieb Hoffnung als „das gefiederte Ding, das in der Seele sich regt“. Der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein sah sie als ein menschliches Privileg und formulierte den Satz: „Krokodile hoffen nicht, Menschen hoffen.“
Gabe und Aufgabe zugleich
Barbara Schmitz hat eines ihrer Bücher mit Wittgensteins Zitat übertitelt. Denn er hat ja Recht: Krokodile mögen vielleicht hoffen, dass der Wärter, der das Tor aufschließt, Futter im Gepäck hat. Aber nicht, dass er morgen und kommende Woche wieder kommen wird. „Wir Menschen dagegen haben einen Zukunftsbezug.“ Für Schmitz liegt das auch daran, „dass wir Sprache haben. Wir Menschen können uns auf die Zukunft richten. Das ist Gabe und Aufgabe zugleich.“
Hoffen unterscheidet Schmitz klar vom Wünschen. Denn wünschen kann man sich alles. Hoffen dagegen hat einen klaren Bezug zur Realität. „Die Hoffnung weiß, dass die Zukunft unverfügbar ist. Wir haben sie nicht völlig in der Hand.“ Dem Hoffen wohnt deshalb „ein Element von Demut“ inne.
Ein zutiefst kreatives Vermögen
Der Optimismus sagt: Es ist schon alles schön. „Er neigt ein wenig zur Selbstüberschätzung oder dazu, dass er sich gelassen zurückzieht, weil es eh kein Handeln braucht.“ Die Hoffnung ist da anders. „Wer hofft, erkennt immer auch seine Macht.“ Die große Dichterin Ingeborg Bachmann brachte es in der Rede zur Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden auf den Punkt: „Im Widerspiel des Unmöglichen mit dem Möglichen erweitern wir unsere Möglichkeiten.“ Hoffnung, betont Schmitz, ist ein „zutiefst kreatives Vermögen“.
Die Hoffnung ist für Schmitz „auch eine Antwort auf die menschliche Verletzlichkeit“. Sie ist der Angst verschwägert. Aber während Angst lähmt, gibt Hoffnung Kraft.
Barbara Schmitz: Hoffnung ist der Angst verschwägert. Aber während Angst lähmt, gibt Hoffnung Kraft. © Thomas Matt, AK Vorarlberg
Falsche Hoffnung
Barbara Schmitz hat eine Tochter. Carlotta kam mit einem seltenen genetischen Syndrom zur Welt. „Es gab damals nur 100 Fälle auf der ganzen Welt. Niemand konnte sagen, wie sich alles entwickelt.“ In der Erinnerung sieht sich Barbara Schmitz als regelrechten Spielball zwischen Schauern und Hoffnung. Aber tatsächlich „habe ich bei der Hoffnung, dass das Kind gesund wird, ganz übersehen, wie wundervoll sich meine Tochter entwickelt hat“. Diese Hoffnung hat ihren Blick verstellt. Sie trog. Auch das gibt es. Heute ist Carlotta Mitte 20 „und das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist“.
Wie kann man Verzweifelten Hoffnung schenken? Wie kann Hoffnung in einem Leben wachsen? „Das geht leise und sehr langsam“, sagt Schmitz. Es braucht Geduld. Und abermals zitiert sie Wittgenstein: „Nur das tägliche Leben wird nach und nach zu dem, worin Hoffnung Platz hat.“
Vertrauen, Mut und Sinn
Drei Begriffe gibt sie ihren Zuhörer:innen mit, die Hoffnung wachsen lassen:
Das Vertrauen. „Man kann nicht hoffen, ohne zu vertrauen.“ Der berühmte evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer, den die Nazis im April 1945 zu Tode brachten, beschrieb Vertrauen als „das größte, seltenste und beglückendste Geschenk“.
Der Mut. Er zeigt sich, wenn wir auch nach einem Schiffbruch die Fahrt wieder aufnehmen. Dabei leugnet er die Verletzungen nicht. Ganz im Sinne Ingeborg Bachmanns Postulat: Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.
Sinn. Hoffnung heißt, zu wissen, dass es einen Sinn hat, egal, wie es ausgehen wird.
Hoffnung glaubt daran, dass wir die Welt zum Guten verändern können. „Unser Leben wäre nicht lebenswert ohne die Hoffnung.“
Man hofft nie genug
Wie sähe es aus, wenn wir alle Hoffnung fahren ließen? Der deutsche Schriftsteller Karl Krolow hat es in einem Sonett wunderbar zum Ausdruck gebracht. Darin lässt er die Hoffnung selber zu Wort kommen. Es beginnt mit den Worten: „Ich hör sie sagen, gib mich völlig auf.“ Dann beschreibt er, wie die Hoffnung sich entfernt, und „hinterm Leuchten der Laternen ist alles schwarz“. Er schließt: „Vergiss mich, sagt sie. Und sie allein weiß es besser: Man hofft nie genug.“
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Barbara Schmitz wird voraussichtlich im Herbst 2025 in der AK Reihe "Wissen fürs Leben" zu Gast sein. In dieser Vortragsreihe treten spannende Referent:innen aus Wissenschaft, Kunst und Religion vors Mikrophon. Es erwartet Sie eine Vielfalt an inspirierenden und hilfreichen Gedanken. Immer geht es um lebensrelevante Themen. Alle Termine unserer Vortragsreihe finden Sie hier – wir freuen uns auf Ihre Anmeldung! Der Besuch ist gratis.
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