30.12.2025
Arbeit
Endlich angekommen
Arbeit,Arbeitskultur,Gesellschaft,KW9,Portrait,Schaffarei,Vorarlberg
Für Oliver Loacker wäre es ganz einfach gewesen, im Reisebüro seiner Familie in die Fußstapfen seines Vaters zu treten und die Geschäftsführung zu übernehmen. Er hätte lediglich einen Kompromiss eingehen müssen. Doch stattdessen ist er lieber seinen eigenen Weg gegangen – und nach einigen Umwegen endlich angekommen: bei einem Traumjob, von dem er nie gedacht hätte, dass es einer sein könnte.
Oliver ist Anfang zwanzig, als er in das Reisebüro der Familie einsteigt. Um im Unternehmen tätig sein zu können, gilt für ihn dasselbe wie für alle Nachkommen: Eine abgeschlossene Ausbildung, eine Fremdsprache und Auslandserfahrung sind Pflicht. Eine Ausbildung hat der gelernte Fotokaufmann, die beiden anderen Voraussetzungen holt er sich »on the job«: Er geht für das Unternehmen nach Moskau. Dort ist er Ansprechperson für Jagdreisende und lernt, wenn er nicht gerade seine Gäste in die entlegensten Jagdgebiete vom Kaukasus bis nach Sibirien begleitet, Russisch. Bei seinem Job kann Oliver sein größtes Talent voll einbringen: Er kann mit Leuten umgehen, nicht nur mit den Gästen, sondern auch mit den Menschen vor Ort. Dementsprechend gut läuft das Jagdreisengeschäft. Nach einem Jahr kehrt Oliver nach Vorarlberg zurück. Hier übernimmt er im Unternehmen die Gesamtverantwortung für die Jagdreisen, ist zuständig für die Planung und Ausführung. Das Angebot wächst, von Russland bis nach Südafrika und von Kanada bis Neuseeland kommt Oliver in Winkel dieser Welt, in denen, wie er sagt, »vor mir sicher noch kein:e Vorarlberger:in gewesen ist«.
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Weniger Reisen, mehr Kontinuität
Einige Jahre macht er den Job sehr gerne, doch irgendwann will er nicht mehr fast die Hälfte des Jahres unterwegs sein. Er möchte einen Job mit mehr Kontinuität – und versucht sich um die Jahrtausendwende als Druckvorstufentechniker. Mit Quark Xpress, damals State of the Art unter den Grafikprogrammen, kennt er sich aus, mit Druckvorbereitung ebenfalls. Schließlich hat er in den letzten Jahren sämtliche Reisekataloge und Inserate selbst gestaltet. Lange jedoch dauert der Ausflug nicht. Bereits eineinhalb Jahre später kehrt er ins Familienunternehmen zurück. Dieses Mal ist er verantwortlich für alle Reisebüro-Filialen samt Marketing, Personal und Budget und erhält schließlich die Prokura. Doch nicht alle haben den Eindruck, Oliver hätte das aus eigener Kraft erreicht. »Viele in meinem Bekanntenkreis waren der Meinung, ich wäre von Beruf Sohn«, erzählt er. Ein Vorurteil, das ihn sehr stört.
Ein eigenes Reisebüro
Als es im Unternehmen schließlich um die Nachfolge in der Geschäftsführung geht, gibt es mehrere Assessments. Das Ergebnis ist stets dasselbe: Oliver Loacker hat die beste Eignung. Trotzdem kommt es zu Differenzen unter der ausscheidenden Generation. Den Kompromiss, der dabei herauskommt, will Oliver nicht mittragen. Also verlässt er das Unternehmen erneut – mit der Konzession und den Plänen für ein eigenes Online-Reisebüro in der Tasche. 2008 ist die Idee am Puls der Zeit, doch die Programmierung der Buchungsplattform verzögert sich immer wieder. Obwohl Oliver als zweites Standbein Wien-Wochen für Schulen in ganz Vorarlberg und Tirol organisiert, reichen die Rücklagen nicht aus, um die Verzögerungen zu überbrücken. Also trifft er eine schwere Entscheidung: Er liquidiert das junge Unternehmen. Was er jetzt dringend braucht, ist ein sicheres Einkommen, denn seine Familie hat inzwischen Zuwachs bekommen, und auch ein Haus hat der junge Vater gebaut. Da kommt ihm ein Angebot vom »Weekend Magazin« gerade recht: Hier wird dringend ein Sales Manager im Anzeigenverkauf gesucht – und reden, das kann Oliver. Doch so sehr der Verkauf an sich sein Metier ist, so schwer tut er sich damit, Anzeigen zu verkaufen. Da kommt es ihm sehr gelegen, dass sich über einen Bekannten die Chance ergibt, für eine Druckerei in der Schweiz einen neuen Markt zu erschließen. Hier laufen die Dinge zunächst ganz gut, auch finanziell – bis sich herausstellt, dass jeder Fehler, der in der Druckerei passiert, auch Auswirkungen auf seine Provision hat. Eine Weile toleriert er das, doch als er hört, dass ein Bekannter aus seiner Zeit im Reisegeschäft eine Fluglinie am Bodensee gegründet hat, schaut er sich die Website des Unternehmens an und stößt dort prompt auf ein interessantes Stellenangebot als Sales Manager. Die Stimmen seiner Jugendfreunde noch immer im Ohr will er aber keinesfalls seine Kontakte spielen lassen, um an den Job zu kommen. Er bewirbt sich auf klassischem Weg – und wird eingestellt. Er beginnt im Verkauf, wird kurze Zeit später Head of Sales und schließlich Mitglied der Geschäftsleitung.
© Patricia Keckeis
Ein Höhenflug mit Turbulenzen
Die Zeit bei der Airline hätte das Potenzial zur Endstation im besten Sinne gehabt, denn hier ist der inzwischen 41-Jährige ganz in seinem Element. Seine Initiativen tragen wesentlich dazu bei, dass die Fluglinie auf wirtschaftlich soliden Beinen steht. Auch das Betriebsklima ist gut, und schlussendlich fängt sogar Olivers Frau Andrea im selben Unternehmen in der Buchhaltung an. Dass Olivers Airline-Ära dennoch gut vier Jahre später in Turbulenzen gerät, liegt an einem Wechsel in der Geschäftsführung. Mit seinem neuen Chef kann Oliver rein gar nichts anfangen. Also hört er auf.
Die nächste Station ist derart unspektakulär, dass nicht einmal Oliver selbst sich spontan daran erinnert. Dabei ist dies sein erster Kontakt mit der Versicherungsbranche. Seine Aufgabe: Er sollte Reiseversicherungen verkaufen, mit Verantwortung für den gesamten Schweizer Markt. Eine Option, findet er, auch wenn er sich zu dem Zeitpunkt nichts Langweiligeres vorstellen kann. Lange dauert die Episode auch nicht, denn schnell stellt sich heraus, dass an dem Job nichts so ist, wie man es ihm versprochen hat. Statt regelmäßig von zu Hause aus arbeiten zu können, ist Oliver ständig unterwegs. Das hatte er schon, das will er nicht mehr, vor allem nicht mit zwei kleinen Kindern daheim. Doch es sollte noch einen weiteren, wie Oliver es formuliert, »Griff ins Klo« brauchen, bis er die Versicherungsbranche von einer ganz anderen Seite kennen- und, wie es den Eindruck macht, lieben lernt.
Versicherung? Kommt gar nicht in Frage!
Nach besagtem Reinfall wird Oliver 2018 durch einen guten Freund seines Cousins auf einen Job aufmerksam, der »genau das Richtige« für ihn sei. Jener Freund ist bei einer bundesweiten Versicherung tätig und sucht einen Nachfolger. Olivers Reaktion auf diesen Vorschlag ist, gelinde gesagt, wenig begeistert. Trotzdem lässt er sich breitschlagen und bewirbt sich. Was das Gehalt betrifft, wird man sich nicht einig, doch einen Tipp bekommt Oliver mit auf den Weg: Er solle es doch bei der VLV probieren. Dort braucht es sechs Bewerbungsgespräche, um die Verantwortlichen davon zu überzeugen, dass er sich nicht etwa für eine Führungsposition, sondern für einen »ganz normalen« Job als Versicherungsvertreter bewirbt. Warum? Oliver Loacker: »Es gab so viele Tage, an denen ich viel zu lange gearbeitet habe. Ich hatte Verantwortung für Dutzende Mitarbeitende, musste Gehaltsverhandlungen führen, Leute einstellen und entlassen. Ich war in so vielen Sitzungen und auf so vielen Pflichtveranstaltungen … ich will das nicht mehr.« Was er stattdessen will, ist ein Job, zu dem er morgens gerne hingeht und von dem er am Abend zu einer vernünftigen Uhrzeit wieder zu Hause ist – und mit dem er seine Familie ernähren kann.
»Es gab so viele Tage, an denen ich viel zu lange gearbeitet habe. Ich war in so vielen Sitzungen und auf so vielen Pflichtveranstaltungen... ich will das nicht mehr.«
Oliver Loacker
Eine letzte Hürde
Diesen Job hat er heute, samt einem Büro knapp zwei Kilometer von zu Hause entfernt. Selbst der Kund:innenstock, den er bei der Einstellung übernimmt, ist in der Kummenbergregion angesiedelt, wo auch Oliver wohnt. Ganz ohne Hürden ist der Weg zu dem Traumjob, von dem er nie geträumt hat, aber nicht. Denn um Versicherungen verkaufen zu dürfen, braucht man eine entsprechende Ausbildung. Also stellt sich Oliver mit 47 Jahren noch einmal einer unliebsamen Herausforderung: Er legt, aller Prüfungsangst zum Trotz, die Lehrabschlussprüfung ab.
Bei den ArbeitsLebensGeschichten in der Schaffarei erzählen Menschen von ihren inspirierenden Arbeitsbiografien, vom Scheitern und wieder Aufstehen, vom Dranbleiben und Ausprobieren.
Nie wieder etwas anderes
Heute ist Oliver Loacker geprüfter Versicherungskaufmann – und kann sich für sich keinen besseren Beruf vorstellen. Vielleicht auch, weil er inzwischen reif dafür ist. Mit achtzehn, davon ist er überzeugt, hätte es ihm an der nötigen Lebenserfahrung gefehlt. Wenn er aber mit dreißig gewusst hätte, wie sehr ihm dieser Job taugt, hätte er sicherlich nichts anderes mehr gemacht. Vor allem wäre er nie in die Selbstständigkeit gegangen. Als Versicherungskaufmann kann Oliver heute tun, was ihm Freude mache, sagt er: Er sei viel mit Leuten im Gespräch, könne ein sinnvolles Produkt verkaufen und auch mal anderweitig helfen, wenn Not am Mann sei. »Es ist auch schon vorgekommen, dass ich bei einer Kundschaft eine kaputte Glühbirne gewechselt habe«, erzählt er. Seinen Job aber wird er ganz bestimmt nicht mehr wechseln.
. us Bilgeseinem neuen Beruf: Er arbeitet mit verschiedenen Materialien, ist heute Maler, morgen Elektriker. Kaum ein Tag vergeht, an dem er dasselbe macht wie am Tag davor. »Würde ich heute noch einmal anfangen, würde ich vermutlich gleich Bootsbauer lernen. Es gibt nicht viele schönere Berufe – und ich habe doch schon einiges gesehen«, sagt er rückblickend.
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