Kinderarbeit auf den Philippinen
Kinderarbeit beute: Das Das UNICEF-Foto des Jahres 2019 schoss der deutsche Fotograf Hartmut Schwarzbach auf den Philippinen: © Hartmut Schwarzbach, Argus Fotoagentur
12. Juni 2021
Soziales

Welttag gegen Kinderarbeit: Kleine ölverschmierte Hände

Arbeit,Gesellschaft,Solidarität

Kinderarbeit? Ja, furchtbar, in der dritten Welt! Bei uns wäre das undenkbar… Aber so lange ist es gar nicht her, dass 13-Jährige für einen Hungerlohn unter Maschinen krochen oder als Schwabenkinder „fremdes Brot“ aßen. Der 12. Juni ist der Welttag gegen Kinderarbeit. Da lohnt es sich, genauer hinzuschauen.

Inhaltsverzeichnis

Die UNO hat das ganze Jahr 2021 als „Internationales Jahr für die Beseitigung von Kinderarbeit“ ausgerufen. Es soll ein Wendepunkt werden. Neue Gesetze sollen die schlimmsten Formen von Kinderarbeit bis 2025 weltweit beseitigen. Denn noch immer sind weltweit 150 Millionen Kinder und Jugendliche von ausbeuterischer und gefährlicher Kinderarbeit betroffen. Die Covid-19-Pandemie hat ihre Zahl wieder steigen lassen.

Gesetze können helfen

Gesetze können helfen. In Vorarlberg taten sie das. Aber das ist noch gar nicht so lange her, und es wurde hart darum gerungen. Die 13-jährige Maria Sperandio etwa hätte sich wohl noch viel inniger einen Schulalltag herbeigesehnt wie es die Corona-Kinder dieser Tage im Homeschooling taten.  Allein, die kleine Trentinerin begann am 26. Oktober 1886 im Textilunternehmen Carl Ganahl & Co als Fabrikarbeiterin. Das Personalverzeichnis erzählt auch vom 14-jährigen Georg Hirschauer aus Altenstadt, der ab 1. Juli 1896 in der Maschinenhalle schuftete. Davor arbeitete der Bub in der Ziegelhütte Rankweil.

Die unbeschwerte Kindheit: Spielen, Lachen, mit den Eltern kuscheln, das Leben erkunden. All das ist eine ziemlich neue Erfindung. Vor 100 Jahren sah der Kinderalltag völlig anders aus. Kinder wurden behandelt wie kleine Erwachsene. Noch im 19. Jahrhundert war für die meisten Vorarlberger Kinder regelmäßiges Arbeiten im Rahmen der Hauswirtschaft ganz normal.

Kinderarbeit in den Rüsch-Werken Dornbirn
Kinderarbeit beschränkte sich in Vorarlberg nicht nur auf die Textilbranche. Dieses Foto entstand um 1910 bei den Rüsch-Werken in Dornbirn. © Stadtarchiv Dornbirn

Ausbeutung unter Maschinen

Als die ersten Fabriken errichtet wurden, trennten sich Haushalt und Erwerbsarbeit. Die Fabrikanten erkannten den Wert der Kinder rasch. Sie konnten gut unter die Maschinen kriechen und mit ihren kleinen Händen geschickt Fäden flicken – den ganzen Tag. Die „Maschinenkinder“ erhielten nur einen Bruchteil des Lohns, den ein Erwachsener nachhause trug. Ihr Arbeitstag begann bereits um fünf oder sechs Uhr morgens und endete erst um 19 oder 20 Uhr. Wie „normal“ das alles war, belegen die Aufzeichnungen des Bezirksamts von Feldkirch: 1862 bestand die Hälfte der Arbeiterschaft in den Spinnereifabriken aus Kindern unter 16, meist unter 14 Jahren.

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Diese Kinder waren oft sehr krank. In den Fabrikhallen atmeten sie schlechte Luft. Sie arbeiteten bei wenig Licht an lauten Maschinen. Kinderarbeiter litten unter körperlicher Schwäche, Wachstumsstörungen und Schwindsucht. Erst als das Ausmaß von Verelendung und Verwahrlosung nicht mehr hinter den hohen Fabrikmauern verborgen werden konnte und als der Staat die Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht ernster zu nehmen begann, entstand eine kritische Diskussion, die schließlich 1885 zum Verbot der Fabrikarbeit für Kinder unter 14 Jahren führte. In keinem anderen Gebiet der Monarchie waren bis zu dieser gesetzlichen Festlegung so viele Kinder – durchschnittlich dreizehn Stunden am Tag – in den Fabriken wie in Vorarlberg.

„Schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Behörden die Kinder immer regelmäßiger zumindest für einige Zeit zum Schulbesuch verpflichteten, förderten die Feldkircher Unternehmer den Zuzug armer, kinderreicher Familien aus Graubünden“, hat der Bregenzer Historiker Meinrad Pichler für das Vorarlberger Wirtschaftsarchiv recherchiert. „Die Rechnung, dass ausländische und dazu noch romanisch sprechende Kinder nicht der Schulpflicht unterlägen, ging immerhin eine Zeit lang auf.“

Kinderarbeit bei der Elektrischen Bahn Dornbirn–Lustenau
Elektrische Bahn Dornbirn–Lustenau: Schulbuben jäten auf dem Boden sitzend die Gleise während des 1. Weltkrieges. © Album EBDL

Unkontrollierbare Heimindustrie

Nach dem Verbot von 1885 verlagerte sich die industrielle Kinderarbeit in den Bereich der unkontrollierbaren Heimindustrie. Gerade in der Stickerei fanden sich wieder Arbeiten wie Schifflifüllen oder Fädeln, die gut von Kindern verrichtet werden konnten. Für viele Stickerkinder waren die täglichen Schulstunden nichts anderes als Arbeitspausen. Das blieb lange so, noch 1923 hält ein Gewerbeinspektor fest: „Die Durchführung des Kinderarbeitsgesetzes stößt in Vorarlberg immer noch auf Schwierigkeiten. [...] In den Verzeichnissen waren 126 Kinder ausgewiesen, die mit industrieller Arbeit oder im Haushalt beschäftigt waren. Die meisten industriell beschäftigten Kinder entfallen auf die Stickereiindustrie. [...] Leider werden die Kinder zur Heimarbeit oft vor dem vollendeten 12. Lebensjahre herangezogen und manchmal bis in die späten Abendstunden beschäftigt, so dass sich nach Angabe der Klassenlehrer großes Schlafbedürfnis bemerkbar macht. [...]

In der Landwirtschaft dienten die Vorarlberger Kinder im 19. Jahrhundert als unverzichtbare Hilfskräfte; Arbeit gab es für alle Altersstufen. Wo man mehr Kinder als Arbeit hatte, mussten die Kleinen „fremdes Brot essen“. Über den Sommer wanderten laut Prof. Gerhard Wanner in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts jedes Jahr 300 bis 700 Hütekinder „ins Schwabenland". Im besten Fall bekamen sie dafür neues „Häß", oft aber auch nur die Kost. Es ist noch nicht so lange her, dass man unfolgsamen Kindern mit dem „Schwabenland" drohte.

Schwabenkinder aus Vorarlberg
Ende der Sommersaison: Schwabenkinder vor dem Gasthaus „Zum Rad“. © Montafoner Museen

Arbeitszwang im Landesjugendheim

Das jüngste Kapitel von Vorarlberger Kinderarbeit hat das Land erst im Sommer 2012 verarbeitet. Damals machte Kinder- und Jugendanwalt Michael Rauch die Berichte von Betroffenen öffentlich, die in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren im Landesjugendheim Jagdberg in Schlins lebten, und nach eigenen Angaben immer wieder von umliegenden Bauern zu körperlich sehr harter Arbeit gezwungen worden waren. Die acht bis 15 Jahre alten Buben seien speziell im Sommer bei Landwirten im Walgau für Erntearbeiten und Hilfsdienste herangezogen worden. „Unbezahlt und teilweise bis zur Erschöpfung und Bewusstlosigkeit bei großer Hitze“, gab Rauch die Erlebnisse der damaligen Heimkinder wieder. Das Land versprach umgehend Aufklärung und bot Hilfe durch die Opferschutzstelle an.

In Vorarlberg ist das alles vergangen. Aber für weltweit 150 Millionen Kinder geht die Sklaverei weiter, wenn nicht Gesetze sie endlich schützen.

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