Soziales
Hier reich sein lohnt sich
Mit Arbeit wird in Österreich niemand reich. Ein Grund liegt in der hohen Besteuerung von Arbeit. Was sich bei uns auszahlt, ist Vermögen. Warum besteuern wir dieses nicht höher?
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Man nehme eine Person. Einen Passanten zum Beispiel. Oder vielleicht die Frau dort drüben? Ja, die da, die grad so angestrengt in ihrem Rucksack kramt! Als hätte sie die Autoschlüssel verlegt … Tante Frieda passiert das laufend. Dabei sieht die gar nicht aus wie Tante Frieda, mehr wie … ach was, die roten Haare, die Sommersprossen – eine Irin auf Urlaub, bestimmt! Und so füllt sich die Straße mit potenziellen Syrern mit Asyl und Bankern in teuren Anzügen, frechen Gören und Musterschülern, Sandlern, Witwen, Verhärmten, Ausgelassenen. Das alles wissen wir. Und haben mit niemandem ein Wort geredet.
„Wie oft geht man aneinander vorbei und schaut sich nicht einmal an?“ Dragana Balinovic ließ diese Frage nicht unbeantwortet. Stattdessen hob sie den Blick. Jetzt bringt sie das anderen bei. Ihr Projekt heißt „connecthumans“. Es hat unter anderen Projekten vor Kurzem den Integrationspreis erhalten.
Also nochmals von vorn. Man nehme eine Person. Und bevor uns die eigenen Gedanken Streiche spielen, radiere man alle Zuschreibungen aus: Das Alter? Weiß nicht. Der Name? Uninteressant. Die Herkunft? Egal. Beruf? Keine Ahnung. Die Sprache? Werden wir schon hören. Was bleibt übrig, wenn man eine Person solcherart entkleidet? „Der pure Mensch“, sagt Dragana Balinovic und kann ein breites Lächeln nicht zurückhalten. Denn beraubt haben wir die Person ja nur jener Bilder, die wir selbst in sie hineinprojiziert haben. Diese Bilder haben Macht. Bei der Wohnungsvergabe etwa kann ein Name entscheidend sein, noch ehe das erste Wort fiel. All unsere Erfahrungen führen heimlich Regie, wenn wir Menschen zum ersten Mal begegnen.
Das Wort „vorbehaltlos“ kommt uns allenfalls leicht über die Lippen. Aber können wir das auch? „Wir brauchen wieder jemanden, der uns die Basics beibringt.“ Davon ist Dragana Balinovic überzeugt. Zusammen mit „wundervollen kreativen Menschen“ hat sie das Format „connecthumans“ entwickelt. Ausprobiert haben sie es zu Weihnachten 2019 und im kurzen Corona-Sommerfenster in Feldkirch. Da standen sie dann in der Fußgängerzone und hielten Passanten aufgefächert kleine Karten entgegen. „Seid ihr von Greenpeace?“, fragten manche. Aber die Karten halfen lediglich, um ins Gespräch zu kommen. Auf den Rückseiten standen Fragen wie „Wofür bist du heute dankbar?“ oder „Was berührt dich?“ oder „Wann hast du das letzte Mal selbstlose Hilfe angenommen?“
Antworten und Schwarzweiß-Porträts, die Martin Schachenhofer und Nina Bröll schossen, waren dann lange noch im öffentlichen Raum ausgestellt. Regten zum Nachdenken an. Nichts als Bilder und lose Gedanken, und siehe da: Der Mensch ist so viel mehr als die Summe seiner Zuschreibungen.
Das Format „connecthumans“ lädt zu Kommunikations- und Lernräumen ein, in denen sich Menschen einer Region, eines Stadtviertels oder einer Firma austauschen. Das Erlebte und Gelernte wird geerntet und in Fotos, Film und Print dem Lebensraum zur Verfügung gestellt.
Die Covid-19-Pandemie hat „connecthumans“ vorübergehend gebremst, aber jetzt bietet das Team rund um Balinovic das Begegnungsformat wieder an. Eine Stadt zeigt schon Interesse. Auch in einer Firma könnte Erstaunliches zutage kommen, wenn die Belegschaft sich einmal die Zeit für wirkliche Begegnungen nimmt.
Hinter connecthumans stehen neben Dragana Balinovic auch Andrea Blum, Alexander Stark, Daniela Kohler, Frank Blau, Julia Beck, Lisa Cancola, Martin Schachenhofer, Nina Bröll und Verena Marte.
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